Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Der erste Petrusbrief ⋅1⋅

Sehen wir uns zunächst einmal die Reihe der Pseudepigraphen an und beginnen wir mit dem ersten Petrusbrief.

1. Literarkritik, Abfassungsort und Verfasserfrage

Wenn wir diesen Brief unter die Pseudepigraphen einreihen, dann ist damit schon gesagt, dass er selbstredend kein Schreiben des Apostels Petrus ist.

a. Argumente gegen die Verfasserschaft des historischen Petrus

In 1 Petr 1,1 stellt sich Petrus zwar als Verfasser vor, ganz ähnlich wie im 2. Petrusbrief, wo er sich als Simon Petrus einführt (2 Petr 1,1). Aber der Brief ist in einem vorzüglichen Griechisch geschrieben. Hier ist sicher die Frage erlaubt, ob man so etwas vom historischen Petrus wirklich erwarten darf.

Auch zitiert der Verfasser durchgängig die Septuaginta, also die griechische Bibelübersetzung. Petrus hat aber mit großer Wahrscheinlichkeit die hebräische Bibel gelesen. Er hätte Bibelzitate dann doch wohl auch vermutlich in einer eigenen und deshalb freieren griechischen Übersetzung gebracht.

Und dann stellt sich der Verfasser in 1 Petr 5,1 überraschenderweise als Presbyter vor. Er sagt:

"Eure Ältesten ermahne ich, da ich ein Ältester bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi..." (1 Petr 5,1.)

Hätte Petrus von sich selbst als Presbyter gesprochen? Hätte er sich nicht vielmehr als Apostel bezeichnet? Und vor allem, wäre von Petrus zu erwarten gewesen, dass er von sich als "Ältester wie sie" spricht? Er konnte doch eine Vorrangstellung beanspruchen, und er tat es doch auch, wie wir aus der Geschichte um den Antiochenischen Konflikt wissen.

Dies alles spricht gegen Petrus als Verfasser des 1. Petrusbriefes.

b. Anklänge an die Paulusbriefe

Hinzu kommt, dass dieser erste Petrusbrief interessanterweise dem Corpus Paulinum relativ nahe steht. Vor allem Bezüge zum Römer- und Epheserbrief lassen sich feststellen. Allein schon die Briefanfänge zu vergleichen kann hier hilfreich sein.

Von daher deutet der Brief eher in die Richtung des Paulus als des Petrus. Der Verfasser dürfte denn auch ein an Paulus geschulter Theologe sein, ⋅2⋅ der allerdings nicht die Autorität des Paulus in Anspruch nimmt.

Von daher hat man im übrigen auch gefragt, ob der Brief nicht etwa ursprünglich als Paulusbrief verbreitet wurde und erst nachträglich dem Petrus zugeschrieben worden wäre. Als Hinweis dafür wollte man die Erwähnung der beiden Paulusschüler Silvanus und Markus anführen. So heißt es in 1 Petr 5,12:

"Durch den Bruder Silvanus, den ich für treu halte, habe ich euch kurz geschrieben; ich habe euch ermahnt und habe bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehen sollt." (1 Petr 5,12.)

Aus dieser Stelle hat man geschlossen, dass der Verfasser dem Silvanus diesen Brief diktiert habe, was ein Indiz für ein - wenn auch fiktives - Paulusschreiben sein könnte. Diese Annahme ist jedoch nicht zwingend. Die Formulierung "durch Silvanus habe ich diesen Brief geschrieben" braucht nicht auf ein Diktat hinzuweisen. Sie kann auch nur in Bezug auf die Überbringung des Schreibens gebraucht sein.

c. Übernahme von Traditionen

Es fällt nämlich auf, dass der Verfasser - weit stärker als die Verfasser der pseudepigraphischen Paulusbriefe oder auch des Hebräerbriefes - von der gemeinkirchlichen Tradition abhängig ist. Der Petrusbrief spiegelt weit mehr als die bisher betrachteten Schreiben, die in den Gemeinden damals gängigen Vorstellungen und Anschauungen wider. Vom Verfasser eigenständig eingebrachte Theologie ist kaum zu finden.

Auch die Sprache ist auf diesem Hintergrund zu sehen. Der Brief enthält viele geprägte Überlieferungen aus dem urchristlichen Gottesdienst. Bekenntnisstücke und Liedfragmente finden sich recht häufig.

Neben den Anklängen an die Paulusbriefe und die Übernahme von Paulustradition findet sich im 1. Petrusbrief so auch verstärkt die Aufnahme von Jesustradition. Erinnerungen an die Bergpredigt, an die Rede von der Feindesliebe und ähnliches begegnen im 1. Petrusbrief. Vielleicht ist dadurch auch die Zuschreibung an Petrus motiviert gewesen. Petrus galt mit fortschreitender Zeit ja mehr und mehr als Garant der Jesusüberlieferung.

So könnte der Verfasser durchaus die entscheidende römische Autorität des Petrus in Anspruch genommen und ganz bewusst die paulinische Tradition hinzugenommen haben. Silvanus würde dann für die Tradition des Paulus und Markus - der hier dann als Mitarbeiter des Petrus zu verstehen wäre - für die Petrus- bzw. Jesusüberlieferung stehen.

d. Rom als Abfassungsort

Von daher legt es sich schon nahe, den Verfasser in der römischen Gemeinde zu suchen. Dort wurden ja sowohl Petrus als auch Paulus als Apostel und Märtyrer verehrt. Beide Traditionen flossen in Rom zusammen. Dadurch könnte man durchaus erklären, dass in diesem Schreiben paulinische Tradition eingeflossen ist, der Brief aber zugleich unter die Autorität des Petrus gestellt wurde.

Ein Hinweis auf Rom als Abfassungsort findet sich auch tatsächlich im Brief selber. So heißt es in 1 Petr 5,13:

"Es grüßt euch die Gemeinde in Babylon ..." (1 Petr 5,13.)

Babylon war aber der zeitgenössische Deckname für die Weltmacht Rom (vgl. Offb 14,8; Offb 16,19; Offb 17,5; Offb 18,2-3).

e. Ägypten als Abfassungsort

Einen anderen Erklärungsversuch liefert Gstrein, ein in Kairo lebender Jesuit. ⋅3⋅ Er vermutet, dass es in der Nähe Alexandriens eine jüdische Siedlung mit Namen Babylon gegeben habe. Der erste Petrusbrief habe nun dieses Babylon im Auge gehabt.

Diese These hat für sich, dass nach altkirchlicher Tradition Markus, der ja im 1. Petrusbrief erwähnt wird (1 Petr 5,13), mit der Gründung der Kirche Alexandriens in Verbindung gebracht wird. Doch ist die These Gstreins in der Forschung wenig aufgenommen worden.

2. Zu Inhalt und Aufbau ⋅4⋅

Sehen wir uns nun aber den Inhalt und den Aufbau des 1. Petrusbriefes genauer an. Der Brief lässt sich folgendermaßen gliedern:

1 Petr 1,1-2
Anschrift und Gruß.
1 Petr 1,3-2,10
Das Heilswerk Gottes und die Tat des Menschen.
1 Petr 1,3-12
Die Wiedergeburt zur Hoffnung.
1 Petr 1,13-2,10
Der gegenwärtige Wandel als Gabe und Aufgabe aus der Wiedergeburt.
1 Petr 1,13-16:
Gläubiger Gehorsam.
1 Petr 1,17-21:
Kindliche Furcht.
1 Petr 1,22-25:
Brüderliche Liebe.
1 Petr 2,1-3:
Verbundenheit mit Christus.
1 Petr 2,4-8:
Die Gemeinde als Gottes Haus.
1 Petr 2,9-10:
Die Gemeinde als Gottes Volk.
1 Petr 2,11-4,11
Der Christ in den Ordnungen und Zeiten der Welt.
1 Petr 2,11-12
Einleitung: Guter Wandel unter den Heiden.
1 Petr 2,13-17
Der Christ im Staat.
1 Petr 2,18-25
Der Stand der Sklaven.
1 Petr 3,1-7
Die Ehe.
1 Petr 3,8-12
Die Gemeinde.
1 Petr 3,13-4,6
Die Leiden in der Welt.
1 Petr 4,7-11
Die eschatologische Stunde.
1 Petr 4,2-5,11
Angefügte Mahnungen.
1 Petr 4,12-19
In den Prüfungen der Verfolgung.
1 Petr 5,1-5
Mahnungen an einzelne Stände.
1 Petr 5,6-11
Mahnungen zur Demut und Wachsamkeit.
1 Petr 5,12-14
Briefschluss: Grüße und Absenderangaben.

3. Die Briefabsicht

Was möchte nun der Verfasser des 1. Petrusbriefes seinen Adressaten mitgeben?

Der Brief möchte den Christen in der Diaspora ganz allgemein Tröstung und Ermutigung vermitteln. Die Christen leben schließlich unter den Heiden. Mittels des Briefes soll ihnen daher aus der Gemeinschaft der römischen Kirche und aus deren überlieferten Glaubensbesitz Trost und Mut zugesprochen werden.

Kleinasien hatte in den 90er Jahren unter den verschärften Verfolgungen des Domitian besonders zu leiden. Solch eine Situation können wir uns als Hintergrund des ersten Petrusbriefes denken. Die gleiche Rolle hatte etwa der zeitgenössische Klemensbrief, der damals an die Gemeinde von Korinth gerichtet war.

Es liegt aber insgesamt kein konkreter Brief vor, da keine bestimmte Gemeinde, sondern eine ganze Kirchenprovinz angesprochen wurde. Der 1. Petrusbrief ist demnach so etwas wie ein Mahn- und Trostschreiben an eine ganze Kirchenregion.

4. Die Bedeutung

Unter der Annahme, dass es sich hierbei um ein echtes Schreiben des Apostels Petrus handeln würde, rückte der 1. Petrusbrief in der Tradition in den Rang der ersten Enzyklika des ersten Papstes auf.

Diese Apostrophierung geht jedoch an der historischen Bedeutung des 1. Petrusbriefes weit vorbei. Die eigentliche Bedeutung dieses Schreibens liegt auf einem ganz anderen Gebiet.

Sofern das Schreiben tatsächlich an das Ende des 1. Jahrhunderts gehört, ist es sehr bedeutend für das Wissen um die urchristliche Entwicklung. Der Verfasser lebt in einer Zeit, in der sich bereits das Bewusstsein, Weltkirche zu sein, ausgebildet hat.

Besonders die Solidarität im Leiden mit den christlichen Brüdern und Schwestern in der ganzen Welt wird in diesem Brief thematisiert. Das Leiden ist das Hauptthema des Briefes schlechthin. So kann man den Grundtenor, der den Adressaten Mut zusprechen soll, auf den knappen Satz bringen: Jesus ist der dem Glaubenden im Leiden Vorangegangene. ⋅5⋅

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button

2 Für die Annahme von Schenke und Fischer in ihrer NT-Einleitung, dem Brief habe ursprünglich ein pseudonymes Paulusschreiben vorgelegen, gibt es jedoch keine wirklichen Anhaltspunkte. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Gstrein, Orientierung 1980. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Karl Hermann Schelke, Die Petrusbriefe - Der Judasbrief (Freiburg 1980). Zur Anmerkung Button

5 Vgl. auch: Rudolf Pesch, Die Auslegung des 1. Petrusbriefes (Freiburg 1979). Zur Anmerkung Button