Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider
Frauengemeinschaft St. Paul, 10. März 2015, Bruchsal
Edith Stein
Zunächst möchte ich mit einem Bild einsteigen, das mich bei Besuchen in Köln immer wieder beeindruckt, Edith Stein in ihren verschiedenen Lebensphasen, als junges Mädchen mit Davidstern, als junge Wissenschaftlerin und als Ordensschwester mit Kreuz mit Korpus in den Händen. Dazu die Fußabdrücke und der Haufen Schuhe, Endstation Auschwitz! Auf der Sockelzone des Denkmals befinden sich zwei Gesetztafeln, auf denen die 10 Gebote stehen. Die Fußabdrücke symbolisieren den Weg vieler KZ-Häftlinge zu den Gaskammern und der Schuhhaufen ihre Ermordung. Dieses Denkmal des Künstlers Bert Gerresheim wurde 1999 am Börsenplatz vor dem Priesterseminar aufgestellt.Im Jahr 1999 wurde Edith Stein - zusammen mit der hl. Birgitta und der hl. Katharina von Siena - zur Patronin Europas erklärt.
Bei der Namenswahl unserer neuen Seelsorgeeinheit war sie einer der drei Vorschläge. Mich hat dabei etwas gewundert, wie wenig über sie den meisten bekannt ist. Wer war diese Frau, Heilige, Märtyrerin, Patronin Europas, die zur Zeit von Johannes Paul II. selig und später heilig gesprochen wurde?
Sie wurde am 12. Oktober 1891 in Breslau geboren. Durch den Holocaust wissen wir heute nicht mehr viel über das jüdische Leben in Schlesien. Edith Stein jedoch hat ihre Familiengeschichte, als sie schon als Nonne im Karmel lebte, aufgeschrieben. Nur noch eine Schwester lebte 1965, als diese als Buch veröffentlicht wurde.
Progrome hatten die Menschen dort bereits im 18. Jh. erlebt, so auch die Familie mütterlicherseits. Später durch die Judenemanzipation wurde das Leben der jüdischen Familien besser. Die Menschen wurden Besitzer von kleinen Fabriken und Geschäften, nachdem wieder eine Phase der Ruhe einkehrt. Später schaffen die ersten Familienmitglieder es, das Breslauer Gymnasium zu besuchen und Akademiker zu werden, so auch der Onkel von Edith Stein, der eine Apotheke besaß und seine Nichte dazu animiert, zu studieren.
Edith Stein wurde als jüngstes von 11 Kindern geboren, einige Geschwister starben früh. Ihr Vater war im Holzhandel tätig, die Familie zog nach Breslau, doch der Vater starb früh. Daraufhin überraschte Ediths Mutter die Familie mit dem Entschluss, selbst als Witwe den Holzhandel weiterzuführen.
Edith kam mit 6 in eine der höheren Schule angegliederte Vorschule, wo sie von Anfang an gut vorbereitet wurde. Eine ältere Schwester wurde Lehrerin. Ihre Familie war eine jüdische Familie, die auf die Glaubenstradition hielt, der Mutter war es z.B. wichtig zu betonen, dass Edith an Jom Kipur geboren wurde. Sie erklärt in ihrer Biographie, dass sie mit ungefähr 13 Jahren ihren Glauben verlor. Genaue Ursachen lassen sich nicht festmachen, aber einer war sicher der Krebstod der Lieblingstante. Sie ging auch ohne Abschluss vom Lyzeum ab, hatte zu der Zeit sicher eine pubertäre Krise. Sie ging für einige Zeit zu ihrer älteren Schwester nach Hamburg. Die ältere Schwester hatte ein Lehrerinnenseminar besucht und dann ihren späteren Mann, einen Dermatologen, kennengelernt, mit dem sie nach Hamburg zog. Dort war sie in einem nichtgläubigen Haushalt mit vielen Büchern und konnte mit ihren 15 Jahren neben ein bisschen Hausarbeit auch viel lesen und sich bilden. Als sie nach Breslau zurückkehrte, war klar, dass sie wie die zweitjüngste Schwester das Realgymnasium besuchen sollte und wollte. Der Vetter Richard Courant, der später ein renommierter Wissenschaftler in den USA wurde, als er vor den Nazis floh und der zu der Zeit schon über eine gute Ausbildung verfügte, sorgte dafür, dass sie Nachhilfe bekam, um die verlorene Zeit aufzuholen. So kam sie dann in die Obersekunda. Sie machte nach 3 Jahren als Beste ihrer Schule Abitur, musste aufgrund ihrer Leistungen noch nicht einmal die mündliche Prüfung machen. Sie besuchte danach Verwandte, erst einen Onkel in Berlin, dann den Onkel, der Apotheker war, in Chemnitz, der so gerne eine Ärztin aus ihr gemacht hätte. Sie jedoch träumte von einem Philosophiestudium. Aber das war eine brotlose Kunst, also studierte sie ab dem SS 1911 Germanistik, Geschichte und nur nebenbei Philosophie in Breslau. Die nur gut 1 Jahr ältere Schwester studierte dagegen Medizin wie der Chemnitzer Onkel es wollte und lernte dort Hans Biberstein kennen, der beide Schwestern mochte und anfänglich zwischen ihnen hin- und hergezogen war. Die Uni Breslau feierte 100 jähriges Bestehen, sie war aus der Vereinigung der protestantischen Hochschule in Frankfurt/Oder und dem Jesuitenkolleg Breslau hervorgegangen. Für Mädchen war das Studium immer noch ungewöhnlich.
Edith Stein, die sicher von ihrer politischen Einstellung her konservativ war, engagierte sich dennoch für Frauenrechte. Sie war Mitglied im "Preußischen Verein für das Frauenstimmrecht". Es ging darum, dass Frauen auch wählen sollen durften, was ja bis 1918 untersagt war. Bei ihren Studien stieß sie auf die Logischen Untersuchungen von Edmund Husserl, die sie begeisterten. Sie war sofort von der Denkweise der Phänomenologie gepackt, sah in Zeitungen aber auch, dass er eine Schülerin, Hedwig Martius hatte, also war er einer, der auch Frauen förderte, weshalb sie davon träumte zu ihm nach Göttingen zu gehen. In einer Zeit, in der die Psychologie die alles überlagernde Wissenschaft in der Philosophie war, wollte Husserl eine Abkehr davon und eine Hinwendung zur Phänomenologie, in der die Bedeutung, die Erscheinung neben das Bewußtsein treten und es immer darum geht, wie ordnen wir etwas ein, was wir sehen. Im 19. Jh. ging es in allem um Objektivierbarkeit, um Zahlen, selbst in der Philosophie und Psychologie. Im frühen 20. Jh. kam die Erkenntnis auf, dass nicht alles der Logik der Naturwissenschaft, der Logik von Zahlen und Experimenten unterliegt, sondern auch andere Faktoren eine Rolle spielen und mit hineinspielen. Ziel Husserls ist es, die Philosophie als "erste Wissenschaft" (Prima philosophia) zu rehabilitieren. Nach Husserl kann nur eine phänomenologische Philosophie den Vorbedingungen einer wahrlich strengen Wissenschaft genügen, weil eine naturalistische oder experimentelle Philosophie auf Vorurteilen und Existenzannahmen basiert, also sich nicht an den "Sachen selbst" orientiert. Diese Orientierung charakterisiert die gesamte Strömung der Phänomenologie. Sie soll sicherstellen, dass sich die Wissenschaften nur von Evidenzen leiten lassen, die dem unmittelbaren Bewusstseinserleben entstammen. In Göttingen gab es eine Philosophische Gesellschaft von Husserl-Schülerinnen und Schülern, wozu später auch Edith Stein zählt. Aus Husserls Theorie hat sich auch der Existenzialismus entwickelt, dessen berühmtester Vertreter in Frankreich Jean-Paul Sartre war, der aber wiederum auch Husserls Schüler Heidegger, der später in Freiburg lehrte, hörte, der die Theorie der Phänomenologie weiterentwickelte um eben das Sein, die Existenz. Als der 1. Weltkrieg ausbrach und einige der Studenten und Assistenten, aber auch Söhne von Professoren in den Krieg ziehen, geht Edith Stein mit einer Freundin zurück nach Breslau. Sie hilft in einem Hospital aus. Im Oktober kehrte sie nach Göttingen zurück und machte am 14./15.01.1915 ihr Staatsexamen in Geschichte, Germanistik und Philosophie. Danach hätte sie eigentlich ins Referendariat gehen können, aber es herrschte Krieg, so dass sie 3 Monate lang ansteckende Patienten auf einer Typhus-Station pflegte und danach auf einer chirurgischen Station Schwerverwundete, fast tödlich Verletzte. Sie war sehr geschwächt, weil sie direkt nach dem Examen ins Lazarett ging, dann im Spätsommer noch ihr Graecum in Breslau machte. Weihnachten fuhr sie nach Göttingen, weil Freunde auf Heimaturlaub waren. Geprägt durch den Krieg konvertieren einige Freunde vom Juden- zum Christentum. Es war eine Zeit religiöser Aufbrüche.
Am 5.1.1916 bekam Husserl einen Ruf der angesehenen Universität in Freiburg und zog von Göttingen nach Freiburg, wo er einen ordentlichen Lehrstuhl erhielt. Edith Stein arbeitet zunächst in Breslau an ihrer alten Schule als Lehrerin, da die Männer alle im Krieg sind und daher viele Lehrerstellen unbesetzt sind. In den Osterferien 1916wurde die Doktorarbeit fertig. Sie bereitete sich gleichzeitig auf ihre Doktorprüfungen, das sogenannte Rigorosum vor und hoffte, in den Sommerferien nach Freiburg fahren zu können. Drei dicke Hefte schickte sie Husserl, der sich gar nicht traute, diese umfangreiche Arbeit zu lesen. Edith Stein fuhr über Frankfurt und Heidelberg, wo sie Freunde besuchte, nach Freiburg. Im Sommer promovierte sie in Freiburg, sie hatte Germanistik und Geschichte als Nebenfächer, muss sich den neuen Professoren einer Uni, an der sie nie studiert hat, erst vorstellen und hoffte, am 3. August ihre Prüfungen machen zu können, damit sie danach wieder in Breslau als Lehrerin arbeite konnte. Sie schaffte ihr Rigorosum summa cum laude, was für einen Mann damals bedeutet hätte, sich habilitieren zu können, für eine Frau nicht, 4 mal reichte sie ihre Habilitation ein, viermal wird sie abgelehnt! Aber das weiß sie am Tag ihrer Promotion noch nicht. Sie beschloss zumindest, nicht als Lehrerin nach Breslau zurückzukehren, da sie diese Tätigkeit nicht besonders ausfüllte. Sie fragt Husserl, ob sie seine Assistentin werden darf, was er erlaubt.
Sie schreibt zu Beginn in einem Brief: "Die neueste Prognose des Meisters…: ich muß zunächst so lange bei ihm bleiben bis ich heirate; dann darf ich nur einen Mann nehmen, der ebenfalls Assistent wird und die Kinder desgleichen" So sieht das Leben einer promovierten Wissenschaftlerin 1917 aus! Auch sieht Husserl sie eher als die Ordnerin seines Zettelkastens, die die Dinge strukturiert, als als eigenständige Denkerin, die mit ihm in Gesprächen und durch Hinterfragen, eigene Ideen entwickelt und seine inspiriert. So kündigt sie 1918 ihre Stelle in Freiburg.
Dennoch setzt sich Husserl auch weiter für sie ein, er attestiert ihr: "Fräulein Dr. Stein hat in der Philosophie eine weite und tiefe Bildung gewonnen… Sollte die akademische Laufbahn für Damen eröffnet werden, so könnte ich sie an allererster Stelle und aufs wärmste für die Zulassung zur Habilitation empfehlen."
So fragte sich Edith Stein in den kommenden Jahren, wie es für sie weitergehen sollte. Sie las u.a. auch christliche Literatur. 1921 hielt sie sich von Ende Mai bis Ende August bei ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius in Bad Bergzabern auf. Dort las sie in der Bibliothek auch viele christliche Bücher. Besonders beeindruckt haben muss sie die Autobiographie von Teresa von Avila, Libro de la Vida. So besuchte sie in Bad Bergzabern den dortigen Pfarrer Eugen Breitling, der wohl ein kluger Mann war und das geistige Niveau einer Edith Stein erkannte. Am 1.1.1922 wurde sie dort getauft und die evangelische Freundin Hedwig Conrad-Martius durfte mit Dispens vom Speyerer Bischof sogar ihre Patin werden, so dass sie nun den Taufnamen Edith Hedwig Theresia erhielt. Auch Teresa entstammte einer jüdischen Familie, ihr Großvater war wohl einer der unter dem Druck der spanischen Inquisition Zwangsbekehrten. Erst 1971, als Edith Stein auch schon längst nicht mehr lebt, wird Teresa von Avila zur Kirchenlehrerin erhoben, was vorher nur Männern vorbehalten war. Am 2.2.1922 wurde Edith Stein in Speyer gefirmt, da der Pfr. von Bad Bergzabern dafür sorgte, dass sie jemanden an die Seite bekam, der ihrer Intelligenz gewachsen war und sie so dem Generalvikar von Speyer, Prälat Joseph Schwind, vorgestellt wurde, der sie dann auch firmte. Edith Stein hat von Anfang an mit dem Gedanken gespielt, in den Karmel einzutreten, Schwind riet ihr davon ab. Zunächst sollte sie sich mit kirchlicher Literatur beschäftigen, die Werke Thomas von Aquins kennenlernen und ihrer Familie ihre Konversion beibringen. Diese reagierte geschockt, evangelische Christen waren noch angesehener, aber der Katholizismus erinnerte in Breslau zu sehr ans Polnische, hatte den Geruch, für sehr einfache Leute zu sein. In Breslau lernte sie auch den dortigen Studentenpfarrer Günther Schulemann kennen, der sich habilitierte und mit der Phänomenologie auseinandersetzte. Nun konnte sie nicht mehr die junge Privatgelehrte aus jüdischem Hause sein, die von der Mutter das Geld für ihr Leben bekam und frei ihrer Forschung nachgehen konnte. So ging sie nach Speyer, wo Joseph Schwind dafür sorgte, dass sie bei den Dominikanerinnen als Deutschlehrerin arbeiten konnte. Sie war damit natürlich unterfordert, was auch Schülerinnen spürten, die ahnten, dass das Fräulein Doktor sehr gescheit war. Sie betete viel und setzte sich mit der Philosophie Thomas von Aquins auseinander. 1925 lernte sie Erich Przywara kennen, als der Jesuit nach Speyer kam und Schwind die beiden miteinander bekannt machte. Przywara kannte sich in der Philosophie gut aus. 1929 wurde Husserl 70 und Edith Stein schreibt für die Festschrift einen Aufsatz über die Auseinandersetzung zwischen der Phänomenologie und Thomas von Aquin.
Als Joseph Schwind am 17.09.1927 einen Schlaganfall im Beichtstuhl erlitt und starb, empfahl Erich Przywara ihr stattdessen die Mönche von Beuron. Dieses Reformkloster war gerade im Bereich der Liturgie im 19. und 20. Jh maßgeblich. Sie erlebt dort die Kar- und Ostertage, erlebt die intensive Liturgie, aber auch die unsägliche Karfreitagsfürbitte für das jüdische Volk. Aber der Abt dort wurde auch zu ihrem Begleiter und versuchte ihr den Wunsch, in den Karmel einzutreten, auszureden und forderte sie auf, statt dessen Vorträge zu halten, in der Lehrerinnenausbildung zu arbeiten, sich nicht in Speyer zu verkriechen sondern in die Welt zu gehen. Gleich nach ihrem ersten Aufenthalt in Beuron hatte sie ohnehin einen Vortrag bei der bayerischen Lehrerinnenakademie in Ludwigshafen angenommen und sie setzte die Vortragstätigkeit danach weiter fort, in Salzburg bei den Hochschulwochen des Akademikerverbands, beim Frauenbund etc. Allerdings wird sie nie als Wissenschaftlerin zu philosophischen Themen angefragt, sondern sie soll über die Rolle der katholischen Frau referieren, was sie nicht wirklich glücklich macht. Zu Ostern 1931 kündigte sie ihre Lehrerinnentätigkeit in Speyer, um sich ganz den Vorträgen zu widmen und außerdem hat sie sich an Heidegger gewandt, in dem Versuch, ihre Habilitation noch einmal einzureichen, aber dieser lehnt ab, kann sich nach dem Krieg angeblich noch nicht einmal an ihren Besuch erinnern! Heidegger unterhielt auch eine Beziehung zur jüdischen Philosophin Hannah Arendt. Seine Frau war von Anfang an antisemitisch eingestellt. Am 21.4.1933 wurde Heidegger Rektor der Universität Freiburg, weil er den Nazis wohlgesonnen war und sein Vorgänger in diesem Amt Sozialdemokrat war. Heidegger behielt das Amt nur 1 Jahr, wirkte dann in anderen Bereichen. Nach dem Krieg wurde ihm von den französischen Besatzungsmächten die Lehrerlaubnis bis zu seiner Emeritierung entzogen. Über seine Rolle in der NS-Zeit wurde nach 1945 viel diskutiert, was bis heute anhält.
1931 und 32 wurden Edith Steins 2 Bände über Thomas von Aquin veröffentlicht, was für die damalige Zeit sicher schwierig war, eine zum Katholizismus konvertierte Jüdin und Frau versucht sich am größten Kirchenlehrer! 1932 wurde sie Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster, damit sie endlich als Wissenschaftlerin arbeiten konnte, wenn auch nicht an der Uni, dann wenigstens in der Lehrerinnenausbildung. Aber dann kam das Jahr 1933 mit der Machtergreifung. Edith Stein erkennt früh die Gefahr. Sie will nach Rom, um eine Privataudienz beim Papst zu erbitten, aber mit Hinweis auf den Andrang an Audienzen im Jahr 1933 (Heiliges Jahr wg. Tod Jesu 33 n.Chr) wurde dies abgelehnt, so dass sie ihr Anliegen schriftlich verfasste, was auch ohne Reaktion blieb. Im Vatikan wurde das Konkordat vorbereitet. Eugen Pacelli, der frühere Nuntius im Deutschen Reich und spätere Papst Pius XII. kannte Edith Stein, hat aber wohl die Dramatik der Entwicklung nicht sehen wollen oder nicht gesehen. Edith Stein kündigte, weil man ihr dies nahelegte. Sie hätte als Lehrerin nach Südamerika gehen können, das erschien ihr aber zu weit weg von ihrer Familie.
Da der Karmel Zugangsbeschränkungen hat, war es für Edith Stein nicht klar, ob sie nun ihren Entschluss, den sie seit der Taufe immer wieder hatte, Nonne zu werden, umsetzen konnte. Der Kölner Karmel war jedoch dabei, in Schlesien eine Filiale zu gründen und so konnten Schwestern aufgenommen werden. Edith Stein wurde in Münster von ihren Studentinnen überwältigend verabschiedet, ließ ihre Bücherkisten nach Köln bringen und reiste nach Breslau, um ihre Familie von ihrem Entschluss zu informieren. Am 12. Oktober, ihrem Geburtstag, reist sie dort wieder ab, alle weinen, die Familie weiß, nun ist der Bruch endgültig und ein Teil der Familie wird auch gedacht haben, als Katholikin rettet sie eher ihren Kopf in Nazideutschland, als als Jüdin, was als Verrat an der Familie empfunden wurde. Am 15.4. 1934 fand die Einkleidung statt. Der Erzabt von Beuron zelebrierte dieses Hochamt, auch andere Freunde und Weggefährten kamen. Nun hieß Edith Stein Teresia Benedicta al Cruce. Benedicta drückte ihre enge Beziehung zu den Benediktinern aus, aber sie war auch eine Gesegnete. Ihr wurde ausdrücklich erlaubt, zu schreiben, Philosophie, aber auch ihre Familiengeschichte. Ihre Mutter enterbte sie, aber sie ging in den Karmel in Breslau, um sich ein Bild vom neuen Leben der Tochter zu machen. Sie beantwortet jedoch die Briefe der Tochter nicht. Am 21.4.1935 war ihre Profess. Immer mehr Freunde flohen, auch der Abt von Beuron musste in die Schweiz, um sich dem Zugriff der Gestapo zu entziehen. Als 1936 Auguste Stein starb, entschloss sich auch Ediths Schwester Rosa, nach Köln zu kommen und sich taufen zu lassen.
1938 wurde klar, dass auch das Kloster keinen Schutz bieten konnte, Teile der Familie waren nun in den USA oder auf dem Weg nach Kolumbien. Der Karmel, als Kloster der Weltabgeschiedenheit tat sich schwer damit, für die berühmte Schwester Fluchtpläne zu schmieden. Zunächst wurde an den Karmel in Bethlehem gedacht, dann entschied man sich für Echt in den Niederlanden, eine Gründung des Kölner Karmels zu Zeiten des Kulturkampfs. 1940 kam auch ihre Schwester Rosa nach Echt in den Karmel. Nachdem Deutschland den Niederlanden den Krieg erklärte, wurde es auch dort gefährlich, zunächst für ungetaufte, dann aber auch getaufte Juden. Edith Stein kontaktiert eine Frau in der Schweiz, Hilde Borsinger, die sie kannte und die Kontakt zum Karmel in Fribourg aufnahm, der zunächst nur sie, aber nicht ihre Schwester aufnehmen will, aber dann findet man auch für Rosa eine Bleibe. Die Eidgenössische Fremdenpolizei will jedoch eine Erlaubnis aus dem Vatikan für diese neuerliche Umsiedlung einer Karmelitin und die Behörden lassen sich Zeit, zu viel Zeit. Es gab Behauptungen, Martin Heidegger sei angefragt worden, dabei zu helfen, Edith Stein über die Schweiz vor den Zugriffen der Gestapo zu retten, habe dies aber verweigert. Ich weiß nicht, ob es stimmt.
Am 2.8.1942 wurden Rosa und Edith Stein aus dem Karmel in Echt abtransportiert. Von Anfang an wuchern Legenden um Edith Stein, sie war bekannt, auch die niederländische Bevölkerung hat mitbekommen, wer da ging, es wurde behauptet, sie habe Zettel aus dem Zug geworfen. "Komm, wir gehen für unser Volk!", soll sie beim Abtransport zu ihrer Schwester gesagt haben. Ihr Lebensweg endete in Auschwitz.
Papst Johannes Paul II. sprach Teresia Benedicta vom Kreuz am 1. Mai 1987 in Köln selig und am 11. Oktober 1998 in Rom heilig. Ihr römisch-katholischer und evangelischer Gedenktag ist der 9. August. Sie gilt als Brückenbauerin zwischen Christen und Juden und war auch Patronin des Weltjugendtags in Köln 2005. In Freiburg, Speyer, Köln und anderen Stationen ihres Lebens erinnern Straßen, Häuser und Gedenktafeln an sie.
(Marieluise Gallinat-Schneider)