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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider

Frauengemeinschaft St. Paul, 11 März 2008, Bruchsal

Zwischen Aufbegehren und Stille – mit Gott im Gespräch

Es geht ums Beten, aber die Frage ist, was wir als solches bezeichnen. Es gibt viele Formen der Kommunikation mit Gott.

Beten ist der Ausdruck der unendlichen Sehnsucht des endlichen Wesens nach seinem unendlichen Ursprung. Ja, und damit ist das Beten auch die Suche nach dem Schöpfer, genauso wie wir immer wieder auf der Suche nach Gott sind, sind wir auch auf der Suche nach geeigneten Kontaktmöglichkeiten zu ihm. Und Suche bedeutet auch, ich habe kein fertiges Rezept wie beten geht, wie ein Gebet aussehen muss. Im Laufe meines Lebens nimmt mein Gespräch mit Gott auch immer wieder andere Formen an. Wir haben letzthin einen religiösen Elternnachmittag gehabt. Auch dort ging es ums Gebet. Mit kleinen Kindern werden Eltern jeden Abend das gleiche Gebet sprechen, dieses Ritual gibt Heimat. Wenn die Kinder in die Schule kommen, können sie selbst aus kleinen Gebetbüchlein oder Kärtchen oder Würfeln ihr passendes Kindergebet heraussuchen und sprechen. Irgendwann entlassen wir unsere Kinder dann in die Selbständigkeit und hoffen, dass sie in ihrer Jugend und auf dem Weg zum Erwachsenwerden ihre eigene Form des Kontakts zu Gott entwickeln. Als Eltern erinnern sie sich dann vielleicht wieder gerne an die Kindergebete. So entwickeln wir zeitlebens Formen, um mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Schauen wir zunächst in die Bibel: Schon im Judentum war es üblich, zu bestimmten Zeiten zu Gott zu beten. Außerdem erinnert die Mesusa, das kleine Metallgefäß an der Tür, das das Sch(e)ma Israel enthält, daran, zu Gott, dem einzigen Gott, zu beten. Juden gehen mit Gott, er ist immer und überall bei ihnen. Mit die eindrücklichsten jüdischen Gebete sind die Psalmen, die in der klösterlichen Tradition ja auch als die Grundgebete übernommen wurden, die über den Tag und das Jahr verteilt gebetet werden.

Die Verteilung über den Tag hinweg stammt auch aus einem der Psalmen selbst. In Ps 119 heißt es:

Zum Lobgesang wurden mir deine Gesetze im Haus meiner Pilgerschaft. In der Nacht denke ich, Herr, an deinen Namen; ich will deine Weisung beachten. Deine Befehle zu befolgen ist das Glück, das mir zufiel. (Chet) Mein Anteil ist der Herr; ich habe versprochen, dein Wort zu beachten. Ich suche deine Gunst von ganzem Herzen. Sei mir gnädig nach deiner Verheißung! Ich überdenke meine Wege, zu deinen Vorschriften lenke ich meine Schritte. Ich eile und säume nicht, deine Gebote zu halten. Auch wenn mich die Stricke der Frevler fesseln, vergesse ich deine Weisung nicht. Um Mitternacht stehe ich auf, um dich zu preisen wegen deiner gerechten Entscheide....Siebenmal am Tag singe ich dein Lob wegen deiner gerechten Entscheide.

Aus dieser Aufforderung entstand in der mittelalterlichen Monastik die Tradition des Stundengebets mit seinen festen Zeiten von Matutin, Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet. Schon im frühen Mittelalter beteten die ersten Säulenheiligen die Psalmen. Simeon betete auf seiner Säule jeden Tag alle 150 Psalmen auswendig. So wurde dann später in den Klöstern die Tradition übernommen, zu den Tagzeiten biblische Psalmen zu beten! Wir haben die Psalmen nur durch das "Ehre sei dem Vater und dem Sohn" quasi getauft. Selbst die Lobgesänge des Zacharias, des Simeon und Mariens im NT bei Lukas könnten normale jüdische Lobgesänge sein. Es ist nicht sicher, ob es sich beim Benediktus, beim Nunc dimittis und Magnificat um jüdische oder frühchristliche Gebete handelt. Am Kreuz hat Jesus bei Mt 27,46 und Mk 15,34 Ps 22,2 gebetet und zwar auf aramäisch. Dies ist auch ein Beweis der Tatsache, dass Jesus wie jeder Jude in vielen Situationen des Leids, der Klage, des Lobs und Danks die Psalmen betete.

Beten kann aber auch Ringen mit Gott sein, nach gut biblischem Vorbild von Jakob:

Da trat ihm ein Mann entgegen und rang mit ihm bis zum Morgengrauen. Als der andere sah, daß sich Jakob nicht niederringen ließ, gab er ihm einen Schlag auf das Hüftgelenk, so daß es sich ausrenkte. Dann sagte er zu Jakob: "Laß mich los; es wird schon Tag!" Aber Jakob erwiderte: "Ich lasse dich nicht los, bevor du mich segnest!" "Wie heißt du?" fragte der andere, und als Jakob seinen Namen nannte, sagte er: "Du sollst von nun an nicht mehr Jakob heißen, du sollst Israel heißen! Denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gesiegt." Jakob bat ihn: "Sag mir doch deinen Namen! "Aber er sagte nur: "Warum fragst du?" und segnete ihn. "Ich habe Gott von Angesicht gesehen", rief Jakob, "und ich lebe noch."

Das wünschte ich mir manchmal, von Angesicht zu Angesicht mit Gott zu ringen, wobei ich denke, das innere Ringen mit Gott werden Sie auch kennen. Oft spielen sich in unserem Inneren Kämpfe ab, dafür müssen wir Gott nicht im realen Ringkampf an einem Fluss gegenüber stehen, das Bild ist in uns präsent.

Um in Kontakt zu Gott zu treten, muss ich aber keine großen Worte machen, ich denke an das neue geistliche Lied: In der Stille angekommen, leg ich meine Masken ab, denn Gott weiß, was ich ihm zu sagen hab, große Worte sind nicht nötig. Diese Form der Kommunikation ist zutiefst biblisch, wie bei Elija:

Der Herr antwortete: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.(1 Kön 19)

Johannes, Jesus und andere gingen auch damals in die Wüste. Dort suchten sie die Stille, um sich besser auf Gott einzulassen. Die mystische Gottesbegegnung geschieht meistens in Stille, in der Wüste (z.B. auch bei Moses am brennenden Dornbusch) oder an Orten stiller Einkehr.

Ein Gebet lautet: "Gott, ich komme, um bei dir still zu werden. Ein Teil von mir sitzt hier und betet, ein anderer Teil plant für den morgigen Tag. Beten macht mir Mühe. Stille halten fällt mir schwer. Gott, hier bin ich. Nimm mir meine Unruhe. Ich atme deine Stille in mich ein." So oder ähnlich können wir beten, wenn wir still werden wollen, es aber nicht so klappt, wie wir uns das vorstellen.

Natürlich hat die Bibel uns auch das Grundgebet schlechthin neben den Psalmen von Jesus selbst überliefert:

Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen. Und erlaß uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen. Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben. Vom Beten - Das Vaterunser: (Mt 6)

Dieses Gebet hat vier Grundbitten oder -anliegen, die jeweils noch Erklärungen haben. Wenn wir den Text bei Lukas ansehen, so heißt es da nur: "Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung." (Lk 11,2-4) Daraus hat sich im Laufe der Zeit das heutige Vater unser entwickelt. Auch die Juden kannten schon ein ähnliches Gebet das Achtzehn-Bitten-Gebet, welches ähnliche Bitten enthält, der Kontext der Sündenvergebung, der Nahrung für Leib und Seele und der Aufnahme in Gottes Reich entsprechen dem Wunsch aller Menschen zu allen Zeiten.

Kompliziert wird es für mich, wenn es bei Matthäus im 8. Kapitel heißt: Vom Vertrauen beim Beten:

Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten. (Mt 8)

Ist das wirklich so, dass meine Bitten erfüllt werden? Ist Gebet automatisch Bitte? Nicht in allen Sprachen haben die beiden Wörter die gleichen Sprachwurzeln. Oft machen wir die Erfahrung, dass unsere Bitten nicht in Erfüllung gehen. Klar, wenn wir einen Kuhhandel mit Gott machen, so nach dem Motto, wenn Du mich den Beruf erlernen lässt, stifte ich dir auch die dickste Kerze, dann dürfen wir zu recht davon ausgehen, dass diese Form von Gebet (die ich als solches gar nicht bezeichnen würde) nicht erfüllt wird. Aber wie oft hatte ich das Gefühl eine berechtigte Bitte vor Gott zu tragen und letztendlich kam alles ganz anders. Diese Erfahrung machen schon Kinder. Was ist, wenn sie bitten, dass die Oma oder der Opa gesund werden und die sterben dann. Hat Gott sie dann betrogen? Mechthild von Magdeburg sagt: "Das Gebet, da ein Mensch mit aller seiner Macht leistet. hat eine große Kraft." Möglicherweise ist das so. Die Kraft kann ja schon darin liegen, dass wir durch unser Gebet überhaupt in der Lage sind, schwierige Situationen durchzustehen. Wir müssen im Laufe unseres Lebens erfahren, dass auch Beten uns nicht vor Leid bewahrt. In vielen evangelikalen Gemeinschaften würde daraufhin gesagt: "Dann habt ihr nicht richtig gebetet!" So sehe ich das nicht. Ich denke, wie im biblischen Zitat aus Matthäus 8 ist es schon so, dass Gott niemals das Schlechte für uns will sondern das Gute. Aber zum Leben gehören Leid und Tod dazu, Gott kann sie nicht von uns fernhalten, wir sind diesem Kreislauf unterworfen. Es bleiben auch beim Gebet viele Fragen offen. Zu einem erwachsenen Glauben gehört die Feststellung, dass Gott kein Magier ist, der alles machen kann und mit Tricks unsere Wünsche erfüllt. Und - vielleicht müssen wir es auch anders sehen. Beten ersetzt unser Tun nicht, Gott nimmt uns unsere Verantwortung nicht aus der Hand. Rudolf Will, ein Mannheimer Pfarrer hat einmal geschildert, wie er sich fühlt, wenn er durch die Innenstadt geht und Bettler sieht, Drogensüchtige, Menschen am Rand. Dann denkt er als erstes, Gott mach alles wieder gut, gib ihnen Wohnung, Kleider, Geld. Aber er erkennt: "Ich kann nicht bitten: Tu du was! Denn wir sind dran. Es ist unsere, der Mitmenschen Sache, über das Mitleid hinaus füreinander was zu tun." Dennoch bleibt die Frage, warum stehen die einen auf der Sonnenseite des Lebens, die anderen auf der Schattenseite. Es stellt sich, wenn es jemandem schlecht geht, wenn es mir schlecht geht, die Frage nach dem Warum.

Was mir dann jedoch hilft, ist die Tatsache, dass ich dann auch meine Fragen, meinen Zorn, meine Klage vor Gott bringen kann und darf. Das lehren uns schon die Psalmen. Im Judentum war es üblich, auch mit Gott zu hadern, zu ringen und zu schimpfen, ja sogar zu schreien. Dazu sollten wir auch im Christentum zurückfinden. In einem Buch über Frauenbeten, in dem Gebete verschiedener Frauen gesammelt wurden, herausgegeben vom Frauenreferat des Erzbistums Freiburg, habe ich dazu ein sehr passendes Gebet gefunden: "Guter Gott, ich danke Dir dafür, dass Du die lange Zeit der Wut und des Zornes gegen Dich ausgehalten hast, dass Du auf mich geduldig gewartet hast, bis ich wieder so weit war - bereit war -, mich Dir wieder zuzuwenden. Ich danke Dir für Deine Begleitung durch alle Phasen meines Lebens."

Wir dürfen mit unserem Schmerz, unserem Zorn und unserer Klage vor Gott treten. Wir brauchen keine wohlgesetzten Worte, wenn wir beten. Wir brauchen auch keine feste Gebetshaltung. Ich denke, immer dann, wenn wir erst große Aktionen starten müssen, um etwas zu tun, sprich in eine Kirche zu gehen, zu knien etc, dann passt das Ganze nicht in unseren Alltag, dann wird es kompliziert. Es gibt die schöne Geschichte vom Mann, der den Abt fragt, ob er beim beten rauchen darf, was natürlich verneint wird, o.k, meint er dann, aber wie ist es damit, wenn ich beim rauchen bete?

Ulrika von Hegne hat beim Kartoffelschälen gebetet. Ich denke, genau das ist es, ein kurzes Stoßgebet während der Hausarbeit, ein Moment des Innehaltens, ein Gedanke an die Kinder, an die Lieben, die Bitte an Gott, sie zu begleiten, dieses Jüdische "mit Gott gehen", das führt uns zu einem Glauben, in dem wir einen stetigen Kontakt zu Gott haben. Dann kann Gott unseren Tag unser Leben begleiten.

Keine Frage, es braucht auch die vorgefertigten Formen, es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen. Ich denke nur an Zeiten der Trauer, wo die Worte fehlen. Wie gut ist es dann ein "Vater unser" oder ein "Gegrüßet seist Du Maria" zu haben, oder einen Rosenkranz zu beten. In der Neuverfilmung von Erich Kästners doppeltem Lottchen hauen die Kinder am Ende ab, als sie feststellen, dass die Wiederzusammenführung ihrer geschiedenen Eltern scheinbar doch nicht klappt. Dann sitzen sie in England, dort, wo sie sich auf einer Sprachreise zum ersten Mal begegneten und feststellten, dass sie Zwillinge sind, auf einem Leuchtturm und ein Gewitter zieht auf. Sie haben Angst und Panik, sie fühlen sich alleine und verlassen. Die eine sagt zur anderen: "Fällt dir ein Gebet ein?" Ihre Schwester betet: "Komm Herr Jesus sei unser Gast und segne, was du uns aus Gnaden bescheret hast", das einzige Gebet, das sie offensichtlich kennt! Vielleicht hat sie dies in einem konfessionellen Kindergarten gelernt! Ein Tischgebet ist jetzt vielleicht nicht das Richtige oder doch? Es zeigt uns, in Zeiten der Gefahr ist es gut, vorgefertigte Gebete auswendig zu können, andere Worte fehlen dann, es ist nicht möglich ein freies Gebet mit wohlgesetzten Worten zu formulieren!

Die Bitte um Beistand für Menschen, an die wir jetzt besonders denken, hat ihren Platz in der Messe im Fürbittgebet. Dieses Gebet soll die Bitten und Anliegen der Gemeinde ausdrücken, am besten wäre es frei. Wichtig ist mir auch im Fürbittgebet kurze Anliegen zu formulieren. Wir können sagen, wir bitten für die Menschen, die hungern, für die Menschen in Kriegs- und Krisengebieten, für Kranke, Sterbende. Aber diese Nachsätze, mach, dass...., die sind für mich auch auf der Stufe des Kuhhandels. Das Gebet soll Gott nicht vorschreiben, was zu geschehen hat, es bittet darum, diesen Menschen beizustehen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist auch ein Ort für freies Bitten ohne vorgefertigte Form. Aber auch da stellen wir immer wieder fest, dass das so einfach nicht funktioniert, wenn wir jeden Sonntag fragen würden, wofür beten wir heute besonders, käme wohl nicht immer was.

Und wenn ich so auf die Mitte schaue, dann erinnert mich das Bild der betenden Hände von Dürer an die Gebetshaltungen. Die Handhaltung des Händefaltens sagt schon viel über Beten aus. Die deutsche Form, die flachen Hände gegeneinander zu halten kommt aus dem Lehnswesen. Der Lehnsherr schloss seine Hände über die Hände des Vasallen, der vor ihm kniete und die Hände auf diese Weise gegeneinander hielt. Er umschloss dessen Hände. Damit wurde ein Bund geschlossen, der besagte, ich gebe dir Land, Arbeit und Brot, du gibst mir deine Arbeit und deren Ertrag. Damit bin ich von dir abhängig und du von mir, ich gebe mich in deine Hände, du gibst dich in meine Hände. Ist das Bild nicht stark? Nicht nur wir geben uns beim Beten in Gottes Hand, Gott gibt sich auch in unsere Hände, wir haben einen Bund auf Gegenseitigkeit!

Von solchen mittelalterlichen Bildern können wir viel lernen, ebenso gibt es heute eine Rückbesinnung auf die Mystik des Mittelalters. Denken wir nur an Hildegard von Bingen oder Meister Ekkehard. Ihr Hineintauchen in Gott, ihre Gotteserfahrungen beeindrucken uns noch heute, auch ihr hingebungsvolles Gebet, ich denke da nur an das Weihnachtslied "Zu Bethlehem geboren", in dem es heißt: "In seine Lieb versenken, will ich mich ganz hinab, mein Herz will ich ihm schenken und alles, was ich hab". Eine Madeleine Delbrel hat mitten im Arbeiterviertel von Paris die Mystik im 20. Jahrhundert wiederentdeckt.

Denken wir an die Kirchenlieder, die zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstanden, z.B. Paul Gerhardts Lob der Schöpfung in Geh aus mein Herz mitten im Krieg oder die reformatorischen Lieder aus der Zeit davor, wie Martin Luthers "Aus tiefste Not schrei ich zu dir, Herr Gott erhör mein Rufen", da spannt sich der Bogen vom Hymnus zur Verzweiflung . Diese Lieder sind Gebete, sie drücken die Klage und das Lob des Schöpfers aus, dazwischen bewegen wir uns, bewegten sich Menschen zu allen Zeiten. Und immer wieder gab es auch Zeiten, in denen die Frage im Raum stand, ob angesichts des Leides ein Beten überhaupt möglich sei, wo Menschen das Gebet im Hals stecken blieb. Selbst in den Zeiten sind jedoch beeindruckende Gebete entstanden, wenn wir z.B. an Bonhoeffers "Von Guten Mächten", 1944 im Gefängnis geschrieben, denken oder an Gebete aus Konzentrationslagern etc.

Das macht Hoffnung. Immer haben Menschen gebetet und mit Lob und Trauer Gott gesucht. Wir können uns daran orientieren, können Gebete, die andere formuliert haben, zu unseren machen, können leise werden vor Gott, können unsere eigenen Worte suchen, aber wir sollten suchen, immer wieder neu, suchen und versuchen, welcher Weg für uns der richtige ist, um mit Gott in Kontakt zu treten. Nicht jeden Tag werde ich die gleiche Antwort finden, Gebete entsprechen auch meinen Stimmungslagen, es gibt Tage des Lobgesangs und Tage, an denen Psalmen der Klage mir entsprechen. Eines ist jedoch klar, so wie der Kontakt zu Freunden abreißt, bei denen ich mich nie melde, so reißt der Kontakt zu Gott ab, wenn ich jeden Tag eine andere Ausrede habe, ihn zu suchen. Dann lieber mitten im Alltag einen kurzen Augenblick verweilen im Gedenken an den, der uns erschuf und uns begleitet. Klar, Zeiten der Suche, der Abwesenheit dürfen auch sein, auch gute Freunde verzeihen uns, wenn wir in schweren Zeiten nicht können, so verzeiht uns Gott auch, wenn wir uns abwenden und dann wieder hinwenden zu ihm, das ist etwas anderes als Funkstille aus Bequemlichkeit. Martin Luther hat einmal gesagt: "Beten ist das Handwerk des Christen". Jedes Handwerk kann ich nur gut und perfekt ausüben, wenn ich Lehrjahre habe, also Übung, Ausprobieren, Dranbleiben, mich nicht entmutigen lasse, Durststrecken überwinde. So ist es mit dem Beten auch, ein Geselle oder gar Meister werden wir nur, wenn wir bereit sind Lehrling zu sein und Geduld mitbringen, um immer wieder neu zu probieren.

Gott ist das Leben in mir und um mich herum, deswegen muss mein Beten nicht außerhalb des Alltags stehen, ich kann Gott im Leben spüren.

In der Mitte liegen verschiedene Gebete, ich lade Sie ein, sich eines auszusuchen und mit nach Hause zu nehmen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)