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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider

Altenwerk St. Paul, 8. Januar 2007, Bruchsal

"Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. (Ex 3,5) - Heilige Orte und ihre Bedeutung"

Gibt es Orte, die für mich heilig sind, die eine besondere Atmosphäre ausstrahlen? Schon immer haben Menschen Orte besonders verehrt, aus anderen herausgehoben. Wieso? Der Bogen soll gespannt werden von den Märtyrergräbern der Römerzeit z.B. dem Petersdom in Rom über mittelalterliche Reliquienverehrung bis hin zu modernen Vorstellungen

Die Auswahl der Orte, die ich nenne, ist selbstverständlich subjektiv. Es gibt es noch viele andere Orte, deren Bedeutung auf heilige Orte zurückgeht, aber ich nenne nur solche, in denen ich selbst schon war und über deren Kontinuität ich auch weitergehende Informationen habe, Orte, über die ich während meines Studiums Referate geschrieben habe oder mit denen ich mich anderweitig eingehender beschäftigte.

In den vergangenen Sommerferien war ich mit meinen Kindern auf dem Weg nach Südfrankreich in Burgund. Dort haben wir Vézelay besucht, einen Wallfahrtsort, der seit Ende des 9 Jh. von großer Bedeutung ist, weil er die Gebeine der Heiligen Maria Magdalena aufbewahren soll.

Maria Magdalena wird in Frankreich stark verehrt, weil sie der Legende nach über das Mittelmeer in die Provence gekommen sein soll.. Gemäß den Mythen im französischen Fischerdorf Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue wurde Maria Magdalena mit Maria und anderen Begleiterinnen von Juden auf einem segellosen Schiff ausgesetzt, landete bei Marseille und missionierte die Provence. Verehrt wird dort auch eine schwarze Sarah, die eine Begleiterin Maria Magdalenas gewesen sein soll oder auch deren Tochter: Deren Kult wird von der Kirche nicht anerkannt. Sarah ist Patronin der Roma und Sinti und jedes Jahr im Mai findet ihr zu Ehren eine Wallfahrt mit Prozession statt, zu der Gitanes aus ganz Europa zusammenkommen. Gleichzeitig gibt es noch einen Ort in Südfrankreich, Saint-Maximin-la-Sainte-Baume, dessen Kathedrale auch angeblich in der Krypta die Gebeine der Maria Magdalena aufbewahrt.

Um die ganze Geschichte ranken sich viele Mythen, die jetzt wieder neuen Aufschwung durch Dan Browns Sakrileg bekommen haben, wobei ähnliche Thesen ja schon früher auch Peter Berling in seinem Roman Die Kinder des Gral vertrat. Der Ort Vézelay atmet eine ganz besondere Atmosphäre. Er liegt auf dem Jakobsweg, der Pilger nach Santiago de Compostela bringt. Er war Ausgangspunkt des 2. und 3. Kreuzzuges.

Alleine die Tatsache, wichtige Reliquien zu besitzen, brachte manchen Orten im Mittelalter ihren immensen Aufschwung. Märtyrergräber und wichtige Reliquien sind oft der Ausgangspunkt für die Bedeutung einer Stadt gewesen, wie in Breisach, dessen Münster dem Zug der Gebeine der drei heiligen Könige, die in Mailand mitgenommen wurden und dann später per Rheinschiff nach Köln transportiert wurden, seine Reliquien, Gervasius und Protasius, die oh Wunder, in Breisach im Stephansmünster blieben, verdankt.

(Dieses Foto erhielt ich dankenswerterweise vom Konradsblatt, das in Ausgabe Nr. 4 vom 28.01.2007 auf S. 20-23 einen Artikel über Breisach veröffentlichte)

Zu diesen Orten gehört unter anderem Köln mit seinen Gebeinen der Heiligen Drei Könige, die ja auch aus Mailand kamen. Und der Kölner Dom strahlt auch eine ganz besondere Aura aus, für mich natürlich auf subjektive Art und Weise, da ich ja aus dem Erzbistum Köln stamme und selbst schon als Sternsinger am 6. Januar am großen Gottesdienst mit Schreinprozession teilgenommen habe. Das hat uns aufgeklärte Menschen berührt, selbst wenn ich sicher nicht zu denen gehöre, die besonders auf Reliquienkult abfahren.

Dreikönigsschrein

Auch die niederrheinische Stadt Xanten, die eine wichtige römische Provinzstadt war, verdankte ihr Fortbestehen dem Märtyrergrab des Heiligen Viktor und sogar der Ortsname ist vom Lateinischen Ad Sanctos Martyres, Santen=Xanten abgeleitet. Er soll mit vielen anderen Christen als Soldat im Rheinland den Martyrertod erlitten haben und Kaiser Konstantins Gemahlin Helena soll ein Grab für ihn errichtet haben lassen. Diese Legende ließ sich nicht nachweisen, bis 1933 bei Ausgrabungen das Märtyrergrab gefunden wurde, dass auf Mitte des 4. Jh. datiert werden konnte. Oft verschwanden die Orte wieder im Windschatten der Geschichte, wie es Vézelay passiert ist, aber dieser Ort zeigt, das er, wenn er eine ganz bestimmte Ausstrahlung hat, nie ganz untergeht, wie die heutigen Pilgerströme, z. B von Jakobspilgern zeigen. Köln dagegen wurde nie wieder unwichtig sondern eine der größten Städte am Rhein. Auch die Stadt Trier wäre nach der Römerzeit vielleicht in Vergessenheit geraten, hätte sie nicht das einzige deutsche Apostelgrab, das Grab des Matthias, erhalten und die Reliquien des Heiligen Rockes. Auch dort gab es schon einen Tempelbezirk für keltische Gottheiten und einen großen gallo-römischen Tempelbezirk.

Eine Stadt, die ihre heutige Bedeutung auch ihren Reliquien verdankt, ganz besonderen Reliquien, ist Rom. Rom, die Hauptstadt des Römischen Reiches wäre vielleicht nach dem Untergang des Römischen Imperiums eine unbedeutende Stadt geworden, ihre Bedeutung als Hauptstadt der antiken Welt wäre im Laufe der Zeit vergessen worden, wären da nicht die Gebeine des Petrus und Paulus gewesen. Gleich nach dem Mailänder Edikt, in dem Kaiser Konstantin die Verfolgung der Christen aufhob, begann man mit dem Bau des ersten Monumentes für den Apostelfürsten Petrus. Diese erste Vatikanische Basilika blieb bis ins 15. Jh. erhalten, 1506 erhielt dann Bramante den Auftrag mit dem Bau der heutigen Kirche zu beginnen. Unter dem heutigen Petersdom liegt ein gewaltiges Gräberfeld. Ich hatte selbst einmal die Möglichkeit, die Ausgrabungen unter dem Petersdom zu besichtigen. Es kann nachgewiesen werden, dass auch der Bau des 4. Jh nicht der erste ist sondern schon vorher zumindest ein Grabmal des Apostel aus der Zeit des Nero umgeben von einem kleinen Bau existierte. (Artikel von Margherita Guarducci, Die Ausgrabungen unter St. Peter, in Das frühe Christentum im römischen Staat, Darmstadt 1982)

Es gibt übereinandergebaute Monumente und Altäre von der Zeit des 1. Jh. n. Chr. Wenn man dort steht und sich klar macht, seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert wurde an dieser Stelle der Apostel Petrus verehrt und diese Verehrung wurde immer weitertradiert, es wurde nie vergessen, was dort war, dann ist das für mich sehr beachtlich und ein besonderes Gefühl. Das macht für mich auch die Besonderheit dieses Ortes, dieser Kirche St. Peter aus! Schon zu Zeit Konstantins wurde jedem Apostel eine eigene Kirche geweiht, Petrus wie schon erwähnt und Paulus an der Via Ostiensis in der heutigen Basilika San Paolo fuori le Mura, St. Paul vor den Mauern. Während unsere Kinder in diesem Jahr in Rom weilten und in dieser Kirche ihre Gottesdienste hatten, weil sie mit 9000 Ministranten einfach die größte Gruppe waren, kam eine Meldung in die Zeitungen, dass das Grab des Apostel Paulus nach beinahe 500 Jahren wieder für alle Menschen zu besichtigen ist. Das Grab soll noch dort sein, wo es im Jahr 390 auf den Fußboden aufgestellt wurde. Dort gibt es eine antike Marmor-Abdeckung mit der Inschrift "Paulo Apostolo Mart" (dem Apostel und Märtyrer Paulus). Der Vatikan beratschlagt, ob eine Öffnung und Untersuchung des Grabes durchgeführt werden soll, da dieses Grab "noch nie geöffnet worden" sei. Aber eines ist gewiss, immer hat man gewusst, dass seit 390, seit die Kirche gebaut wurde, die nur im 19. Jh. nach einem Brand Veränderungen erfuhr und bis dahin die einzige noch erhaltene antike Großkirche in Rom war, diese Kirche über dem Grab des Apostel Paulus steht und da ist es kein Wunder, dass sie zu den Wallfahrtskirchen schlechthin gehört. Auch sie wird durch diese Tatsache für mich zu einem besonderen Heiligtum.

So gibt es nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Kirchen, die seit der Antike, seit dem frühen Mittelalter ihre Bedeutung Reliquien besonderer Heiliger verdanken. Es gibt Städte, die ihre Bedeutung nie bekommen hätten, wenn nicht diese Reliquien zahlreiche Pilgerströme ausgelöst hätten, die auch der Stadt zu ihrem Reichtum verhalfen. Es gibt aber auch Orte, an denen es schon immer eine Verehrung, einen Kult gab. Orte, die von keltischen Heiligtümern über römische Tempel bis zu christlichen Kirchen wurden. Zahlreiche Beispiele fallen mir ein, das Pantheon in Rom, der Michaelsberg in Heidelberg mit seinem Kloster, seinen keltischen Viereckschanzen etc, die Kirche Santa Maria sopra Minerva, die über dem Minervatempel in Assisi gebaut wurde usw. Solche Orte gibt es überall auf der Welt.

So hat es mich sehr berührt, dass der Luxortempel in Luxor in Ägypten später auch Ort einer koptischen Kirche wurde und noch heute eine Moschee in das Bauwerk integriert ist. Als ich dort war, gab es Mitreisende, die meinten, dieser Ort strahle eine ganz besondere Atmosphäre aus, er sei heilig. Es gibt heute Menschen, die an solchen Orten pendeln, die von Erdstrahlen und dergleichen reden.

Aber warum haben Menschen an bestimmten Orten immer ihre Religion ausgeübt, warum waren und sind bestimmte Orte seit Jahrtausenden heilig? Was haben diese Orte an sich? Ich denke, es ist auch für uns heutige Menschen dieses Gefühl, hier haben schon immer Menschen ihren Gott angerufen. Immer schon haben Menschen hier gebetet. Wie viel Leid und wie viel Freude wurden hier ausgedrückt. Sicher wurden hier immer schon Ängste und Sorgen abgelegt, Menschen haben vor Kriegen um eine gesunde Rückkehr für sich oder ihre Lieben gebetet. Das fasziniert mich und macht für mich diese Orte heute auch so besonders.

Im zweiten Buch Mose, im Buch Exodus heißt es: Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. (Ex 3,5) Dieses Gefühl, dass von einem Ort so etwas ausgeht, überkommt mich schon an manchen Plätzen. Der Ort, an dem Gott den Mose auffordert, sich der Besonderheit bewusst zu sein, ist deshalb ein heiliger Ort, weil Gott dort zu finden ist, weil er dort dem Mose begegnet.

Früher fanden Gottesbegegnungen vor allem in der Natur statt, auf heiligen Bergen, in Bäumen, in Vulkanen. Dann wurden Heiligtümer errichtet und wie ich schon referierte, gibt es Plätze auf dieser Erde, auf denen seit mehreren tausend Jahren ein Heiligtum nach dem anderen errichtet wurde. Vielleicht helfen uns diese Orte tatsächlich näher zu Gott zu kommen, aber nicht, weil sie von sich aus heilig sind oder es hier Erscheinungen gegeben hat, auch nicht, weil sie Reliquien in sich bergen sondern weil hier immer schon Menschen herkamen, um Gott zu begegnen.

Wie heißt es beim Propheten Jesaja? (Jes 2,3)

Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.

Blick vom Ölberg auf Jerusalem

Oft ist es wichtig, sich aufzumachen, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen, um einen Ort zu besuchen, wie bei einer Wallfahrt, dann ist dies schon ein Grund, der das Ziel heiligt. Ich habe etwas erreicht, ich habe meinen Schweinehund überwunden und mich auf den Weg gemacht. So denke ich z.B. an Jerusalem, dessen heilige Stätten ich alle bei großer Hitze erwandert habe. Es hat mich berührt, diese Orte zu sehen, da ging es weniger um die Frage, ob wirklich jede dieser Stellen auch genau die richtige ist. Es reicht alleine schon aus zu wissen, schon immer war Jerusalem mit seinem Tempel den Juden heilig. Jesus pilgerte nach Jerusalem, er wirkte hier, er wurde hier gekreuzigt und begraben. Später haben noch Muslime diesen Ort zu einem ihrer heiligen Orte erklärt. Wie wichtig wäre es, wenn gerade von diesem Ort Frieden ausginge, Frieden für die Welt, Frieden für uns. Deshalb will der Papst in diesem Jahr Jerusalem besuchen. Hoffen wir, dass er als Friedensbote kommen kann.

Und nehmen wir zum Schluss mit, es gibt heilige Orte, aber für viele Menschen sind unterschiedliche Orte heilig. Wenn Menschen an einem Ort eine besondere Nähe zu Gott spüren, dann ist dieser Ort für sie heilig. Wallfahrer sollten, wenn sie eine Wallfahrtsstätte besuchen, auch wirklich in sich gehen, beten und nicht touristisch diese Stätte für sich erschließen. Wenn ich gewissermaßen meine Schuhe ausziehe, berührt bin von dem, was geschieht, mich anziehen lasse von der Ausstrahlung eines Wallfahrtsortes, einer Kirche, dann lege ich meinen Alltag ab, dann geschieht mit mir eine Wandlung. Das ist schon sehr viel und macht die Bedeutung dieser Orte aus. Da ist es egal, ob wir die historische Bedeutung der Reliquien oder Ereignisse als real betrachten oder nicht, das wird bedeutungslos angesichts der Berührung von Gott.

(Marieluise Gallinat-Schneider)