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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt, Kanzeltausch, Auftakt christliche Gebetswoche, EmK, Bruchsal 22.01.2023

Bibeltext

86 1 Ein Bittgebet Davids.
Neige dein Ohr, HERR, und gib mir Antwort, *
denn elend und arm bin ich!
2 Beschütze mich, denn ich bin dir ergeben! *
Rette, du mein Gott, deinen Knecht, der auf dich vertraut!
3 Mein Herr, sei mir gnädig, *
denn zu dir rufe ich den ganzen Tag!
4 Erfreue die Seele deines Knechts, *
denn zu dir, mein Herr, erhebe ich meine Seele!
5 Denn du, mein Herr, bist gut und bereit zu vergeben, *
reich an Liebe für alle, die zu dir rufen.
6 Vernimm, HERR, mein Bittgebet, *
achte auf mein lautes Flehen!
7 Am Tag meiner Bedrängnis ruf ich zu dir, *
denn du gibst mir Antwort.
8 Mein Herr, unter den Göttern ist keiner wie du *
und nichts gleicht deinen Werken.
9 Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen /
und sich niederwerfen, mein Herr, vor deinem Angesicht, *
sie werden deinen Namen ehren.
10 Denn du bist groß und tust Wunder, *
nur du bist Gott, du allein.
11 Lehre mich, HERR, deinen Weg, dass ich ihn gehe in Treue zu dir, *
richte mein Herz auf das Eine: deinen Namen zu fürchten!
12 Mein Herr und mein Gott, ich will dir danken mit ganzem Herzen, *
ich will deinen Namen ehren auf ewig.
13 Denn groß ist über mir deine Liebe, *
du hast mich entrissen der Tiefe der Unterwelt.
14 Gott, stolze Menschen standen gegen mich auf, /
eine Rotte von Gewalttätigen trachtete mir nach dem Leben, *
sie stellten dich nicht vor sich.
15 Du aber, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, *
langsam zum Zorn und reich an Huld und Treue.
16 Wende dich mir zu und sei mir gnädig, /
gib deinem Knecht deine Stärke *
und rette den Sohn deiner Magd!
17 Wirke an mir ein Zeichen zum Guten! /
Die mich hassen, sollen es sehn und sich schämen, *
denn du, HERR, hast mir geholfen und mich getröstet.

Welch ein Gottvertrauen spricht aus diesen Sätzen! Du bist reich an Liebe, Du gibst mir Antwort in Bedrängnis. Der Beter, die Beterin, richtet ihr Bittgebet zu ihrem Gott, fleht zu Gott und dankt Gott. Immer wieder kommt auch die Liebe vor, es wird gedankt für Errettung aus Todesfurcht. Ich finde diese Art des Betens unglaublich tröstlich. Mir persönlich bedeuten die Psalmen ganz viel, Lobpreis, Traurigkeit, Zweifel, Verlassenheit, auch Gott-Verlassenheit, Gewalt, Zorn, Auflehnung, Anbetung, alles wird dort formuliert, alle menschlichen Empfindungen vor Gott gebracht. Nichts ist den Psalmbetern fremd. Ihre psychische Verfassung wird zum Ausdruck gebracht.

Die Psalmen sind Antwort Israels auf Taten und Worte Gottes. Sie sind personal und richten sich an Jahwe als Gegenüber, als Du. Dieser Gott ist ein der Welt und der Menschheit zugewandter Gott. Vermutlich lassen sie sich überwiegend in die Zeit nach dem babylonischen Exil datieren, also in die Zeit des 6. Jh v. Chr. Sie sind Dichtung, Gebet, Hymnen für den Kult und Klagelieder.

Oft wechselt die Person, erst wird von Gott in der 3. Person gesprochen, beschrieben, was er tut, wird sein Handeln gelobt, und dann direkt in der 1. Person mit ihm und zu ihm gesprochen. Wir haben im Religionsunterricht ein ganzes Schulhalbjahr über dieses biblische Buch gesprochen und ich habe damals schon gespürt, diese Art des Gebets ist mir nahe. Viele sagen, die Sprache ist aber oft so anders, natürlich, sie entspricht dem, was die Menschen im Lebensraum Israels erlebten, es wird von Löwen und Schlangen gesprochen, von uns unbekannten Völkern, die das Land bedrohen. Es werden Begriffe verwendet, die nicht mehr unserer Alltagssprache entsprechen.

Ich hatte jedoch nie Probleme, diese Sprache in mein Denken zu übersetzen. Die Psalmen umfassen mein gesamtes Gefühlsspektrum, was für mich beim Beten hilfreich ist. Ich darf meinen Zorn darüber, in einer scheinbar ausweglosen Situation zu sein vor Gott bringen, schreien, ihn anklagen, weil er mich nicht erhört, bitten, flehen, danken…Wenn in den Psalmen um Hilfe, um Heilung, um Errettung gebeten wird, wird gleichzeitig auch geklagt, dass es nicht so kommt, wie erbeten, wie gewünscht. All das sind Gründe, warum ich mich in diesen Worten aufgehoben fühle, auch meine Zweifel, die ganzen Fragen, wenn das Schicksal zuschlägt, sind mit inbegriffen, in dieser Form des Sprechens mit Gott.

Wenn ich Menschen begleitet habe, die mich darum baten, für sie zu beten und sie sind gestorben, konnte ich Gott meine Verzweiflung in Form eines Psalms übergeben. Wenn in meinem Leben Dinge überhaupt nicht so liefen, wie ich es mir vorstellte, wusste ich, ich darf Gott anklagen, denn dies haben die Menschen zur Zeit des Alten Bundes auch schon getan. Die Frage, warum ein Gebet scheinbar nicht erhört wird, haben wir uns sicher schon mal gestellt. In den Psalmen wird Gott angeklagt, wenn er keine Antwort gibt oder Leid und Ungerechtigkeit erfahren werden. Es tut mir gut, so zu beten, auch wenn es nicht alle Fragen klärt.

Ich habe über einen längeren Zeitraum Frauen begleitet, die Missbrauchserfahrungen hatten, Gewaltüberlebende waren. Mit ihnen habe ich viel über Psalmen gesprochen, auch Psalmen gebetet. Denn diesen Frauen war die Sprache der Psalmen, auch wenn vieles darin antiquiert ist, sehr nahe. Die Psalmen drohen mit Strafen gegen Übeltäter, benutzen eine starke Ausdrucksweise. Die Frauen haben mit klar gemacht: Gott steht auf der Seite der Schwachen, er steht an der Seite derjenigen, die mühselig und beladen sind.

Er verhilft den Entrechteten zu ihrem Recht, er begleitet die, die es schwer haben.

Wenn wir an den Gebetsabenden raus gehen, in Schulen, Institutionen, Ämter und Einrichtungen, war und ist es mir auch immer wichtig, diejenigen nicht aus dem Blick zu verlieren, die eben nicht zu den Gewinnern gehören, Abende im Julius-Itzelhaus, bei Wohnsitzlosen, in der Lebenshilfe, bei der Tafel, überall dort, wo Menschen Hilfe oder Begleitung nötig haben, den Blick hin zu richten und auch dort der Stadt Bestes zu suchen, erscheint mir eine unserer Aufgaben als Christinnen und Christen zu sein. Ich glaube an die Kraft des gemeinsamen Gebetes, daran, dass es wichtig ist, unsere Anliegen gemeinsam vor Gott zu tragen. So machen wir es im Friedensgebet, so machen wir es an den Gebetsabenden.

Gerade dieses Jahr ist es wichtig, angesichts der vielfältigen Krisen, die uns Sorgen machen, all die Dinge ins Gebet mit einschließen: Junge Familien sind durch die Zeit der Coronaauflagen verunsichert, was durch Bildungsmisere und fehlende Kitaplätze noch verschärft wird. Blicken wir auf die Vereinsamten, die, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können, denen das Geld an allen Ecken fehlt, die, die geflüchtet sind aus Kriegen oder aus Gebieten, in denen das Leben nicht mehr lebenswert ist. Wir müssen auch den Klimawandel in den Blick nehmen, denn auch die Kinder und Enkel sollen ein lebenswertes Leben auf dieser Erde, die Gott so wunderbar geschaffen hat, haben. Wir wissen um all diese Dinge, die uns manchmal fast den Verstand rauben.

Am Sonntag kam in SWR 1 eine Sendung, in der von einem evangelischen Pastor aus Schwerte berichtet wurde, Tom Damm, der im ersten Lockdown alle 150 Psalmen in eine heutige Sprache übersetzt hat. Ich habe mir beim Hören überlegt, wenn ich jetzt einen Psalm schreiben würde wie klänge das? Hören Sie meine Worte:

Letzter Wunsch
Gott, der uns Vater und Mutter ist,
hat diese Welt so wunderbar erschaffen,
er hat die Menschen geformt
damit sie darin leben und sie gestalten
aber nun
guter Gott, haben wir Dein Werk zerstört;
die Bäume sterben, die Bäche versiegen,
die Erde ist dürr,
wir führen Krieg, Bruder gegen Schwester,
fügen uns unermessliches Leid zu
zerstören die Umwelt,
haben mit immer neuen Krankheiten zu kämpfen,
die Menschen an Leib und Seele leiden lässt,
viele vereinsamen.
Wir nehmen unseren Kindern den Raum zum Leben
Armut und Not nehmen zu.
Du hast für ausreichend Nahrung gesorgt,
dennoch sterben Menschen an Hunger.
Wo bist Du mit Deinem Erbarmen?
Hörst Du uns, wenn wir zu Dir rufen?
Errette uns, bevor es zu spät ist.
Ich lege mein Leben in Deine Hand
sei Du meine Hilfe bei Tag und bei Nacht.
Begleite mich durch die Dunkelheiten meines Lebens
und segne mein Lachen, wenn es gut läuft.

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)