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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt, Ökumenische Passionsandacht, St. Paul Bruchsal

Bibeltext

1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids. 2 HERR, bei dir habe ich mich geborgen. Lass mich nicht zuschanden werden in Ewigkeit; rette mich in deiner Gerechtigkeit! 3 Neige dein Ohr mir zu, erlöse mich eilends! Sei mir ein schützender Fels, ein festes Haus, mich zu retten! 4 Denn du bist mein Fels und meine Festung; um deines Namens willen wirst du mich führen und leiten. 5 Du wirst mich befreien aus dem Netz, das sie mir heimlich legten; denn du bist meine Zuflucht. 6 In deine Hand lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du Gott der Treue. 7 Verhasst waren mir, die nichtige Götzen verehren, ich setze auf den HERRN mein Vertrauen. 8 Ich will jubeln und deiner Huld mich freuen; denn du hast mein Elend angesehn, du kanntest die Ängste meiner Seele. 9 Du hast mich nicht preisgegeben der Hand meines Feindes, du stelltest meine Füße in weiten Raum. 10 HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst; […] 23 Ich aber sagte in meiner Angst: Ich bin verstoßen aus deinen Augen. Doch du hast mein lautes Flehen gehört, als ich zu dir um Hilfe rief. 24 Liebt den HERRN, all seine Frommen! Seine Getreuen behütet der HERR, doch reichlich vergilt er dem, der hochmütig handelt. 25 Euer Herz sei stark und unverzagt, ihr alle, die ihr den HERRN erwartet. (Ps 31)

Liebe Schwestern und Brüder,

der Fuß, der auf dem Hungertuch abgebildet ist, wurde gebrochen. Ein Mensch ist gegen Ungerechtigkeit aufgestanden und erlebte dadurch körperliche Gewalt und Misshandlung. Ein Mensch verliert seinen Halt, weil er Haltung zeigt.

Hungertuch

Eine Tatsache, die häufig geschieht. Es kostet Mut, seine Meinung zu äußern.

Auch Jesus hat Stellung bezogen. Wir stehen am Anfang der Karwoche. Das Ergebnis von Jesu Mut, sich gegen die Obrigkeit und die Zustände aufzulehnen, aber auch bei religiösen Missständen Haltung zu zeigen, war seine Verhaftung und sein Weg zum Kreuz. Jesus musste erleben, wie er gebrochen wird, wie er mit dem Kreuz fällt und auf dem Boden liegt, wie er ganz unten ist. Er ruft am Kreuz „mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“, weil er den Boden unter den Füßen verliert und sterben muss. Ähnlich hören wir es vom Psalmbeter, der Gott bittet, ihn mit seiner Gerechtigkeit zu retten, ihn zu erlösen und aus der Hand der Feinde zu befreien. Er fühlt sich von Gott verstoßen, von Gott verlassen. Nicht nur wir Menschen, auch die Natur kann ihren Halt verlieren. Nach den vielen Dürresommern sind die Bäume stark geschädigt. Und nicht nur die zeigen, was die Klimaschäden anrichten. Bei einem Strandspaziergang Anfang Januar an der Ostsee entdeckte ich zig Seesterne am Strand. So etwas hatte ich an der Ostsee noch nie erlebt! Neben Algen und Muscheln lagen unzählig viele verendete Seesterne.

Seesterne am Strand

Foto: Marieluise Gallinat-Schneider

Diese kleinen Seesterne selbst hatten im Januar ihren Halt verloren und konnten sich, weil es die Tage zuvor eine Sturmflut gegeben hatte, mit ihren kleinen Füßen nicht mehr im Meeresboden festhalten, so dass sie verendeten.

Die Seesterne zeigen uns, dass die Corona-Pandemie längst nicht das einzige ist, was uns Sorgen machen muss. In der Zeitung war zu lesen, dass vermutlich der Klimawandel der Grund war, dass die Seesterne ihren Halt verloren. Wir werden auf die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit der Schöpfung hingewiesen. In dem Fall sind wir es, die ihr Halt geben können. Wie sie da so im Sand vor mir lagen, die Seesterne, waren sie ein Zeichen der Vergänglichkeit. So ging es mir selbst an dem Tag auch, denn ich machte keinen Urlaub, sondern war wegen einer Beerdigung an der Ostsee, Gemeinsam mit der Tochter der Verstorbenen ging ich durch den Sand, mal schweigend, mal weinend, mal haben wir erzählt und Erinnerungen ausgetauscht, auch die schönen Momente, die uns verbinden und uns damit wenig Halt geben.

Es gibt dieses Lied „Seasons in the sun“ von Terry Jacks. In diesem Song verabschiedet sich ein Mensch kurz vor seinem Tod von seinen Lieben, auch von einer Freundin namens Michelle, die ihm, der weiß, dass er sterben muss, immer wieder festen Boden unter den Füßen gab, wenn er den Halt zu verlieren drohte. Dort heißt es

every time that I was down
you would always come around
and get my feet back on the ground.
But the stars we could reach
Were just starfish on the beach

Michelle gab diesem Menschen Halt, diesem Menschen, der nach den Sternen greifen wollte, der vielleicht hochtrabende Pläne hatte, aber die einzigen Sterne, die er erreichen konnte, waren die Seesterne am Strand.

Und selbst die sind nun vielleicht bedingt durch den Klimawandel am Ende, auch sie verlieren den Halt, genauso wie wir Menschen. Momentan können wir nicht nach den Sternen greifen, selbst nicht nach den Seesternen.

Viele von uns haben das Gefühl, den Halt zu verlieren. Alles ist zu viel, die veränderten Anforderungen, vielleicht auch die erhöhten. Hinzu kommen finanzielle Verluste und Ängste. Viele trauern um liebe Menschen, die sich infiziert haben und unter Umständen sogar einsam und isoliert sterben mussten. Das Hungertuch ist auf Bettbezügen gemalt, die aus Krankenhäusern und Klöstern sind. Wieder steigen die Fallzahlen so, dass die Krankenhausbetten durch die Pandemie voll sind. In den Pflegeberufen geben viele alles, sie opfern sich auf, um für die Kranken da zu sein. Deswegen erinnert das Laken uns auch an die Zerbrechlichkeit, die wir momentan erleben. Das Gefühl, keinen sicheren Halt zu haben, umgibt uns alle.

Der Verfasser des Liedes dankt seiner Freundin für den Halt, den sie ihm gab und denkt dankbar daran zurück. Haben wir solche Erfahrungen auch gemacht? Wie gut kann es sein, zu wissen dass Gott unser Elend sieht und die Ängste unserer Seele kennt. Psalm 31 verweist auf das, was wir alle kennen. Einsamkeit verstärkt die Haltlosigkeit noch, ebenso das Gefühl, von Gott verlassen zu sein. Aber der Psalmbeter macht eine Entwicklung durch, er sieht nicht nur seine Ängste, sondern stellt fest, Du stellst meine Füße in weiten Raum. Ein Satz, der Hoffnung gibt. Weite bedeutet auch Freiheit, keine Einengung, die Füße haben Raum, haben Halt.

Auch der Strandspaziergang war trotz aller Trauer ein Moment, der unsere Füße in weiten Raum gestellt hat, der eine große Nähe brachte. Wie viele Erinnerungen an das gemeinsame Aufwachsen, an Feiern, an Ereignisse, die uns verbanden, gaben uns Trost und Halt im Miteinander. Es macht die Trauer nicht ungeschehen, aber sie zu teilen, tut gut. Eines ist dabei immer ausschlaggeben, im Lied war es die Freundin, die den Füßen Halt gab, ich habe versucht, meine Freundin in ihrer Trauer zu begleiten und aufzurichten. Immer dann, wenn Menschen ihre Standfestigkeit verlieren, sind wir als ihre Nächsten gefragt. Jesus hat uns genau das vorgelebt. Er ging seinen Weg in den Tod aufgrund der Menschen. Er ist für uns Menschen am Kreuz gestorben. Er hat immer zuerst die Menschen in den Mittelpunkt gestellt.

In den Berichten der Passion gibt es Momente, in denen Menschen Zuneigung und Mitleid zeigen wie Simon von Zyrene, der Jesus beim Tragen des Kreuzes hilft und ihn aufrichtet. Immer wieder erfahren Menschen auch Solidarität und Hilfe.

Es gibt eine Kraft des Wandels, eine Kraft der Liebe, die unsere Füße auf weiten Raum stellen kann.

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)