Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (1 Joh 4,7-10)

Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat. (1 Joh 4,7-10)

"Was fällt euch zum Thema Liebe ein?" habe ich letzthin unvermittelt gefragt.

"Oh ganz viel!" war die erste Antwort.

"Und was?"

Dann war erst einmal langes Schweigen. Aber dann kam es, wie aus der Pistole geschossen: "Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst!" "Du sollst den Herrn deinen Gott lieben!" "Du sollst Vater und Mutter lieben!"

Du sollst, du sollst, du sollst...

Liebe Schwestern und Brüder,

das fällt Menschen ein, wenn es um Liebe geht? Du sollst?

Nun, so antwortet man wahrscheinlich nur, wenn ein Pfarrer fragt und wenn es um Glaube und Kirche geht. Wenn unsere Jugendlichen an Liebe denken, dann hoffentlich nicht an "Du sollst". Und wenn diejenigen von Ihnen, die auf lange Jahre der Partnerschaft zurückschauen und sich gar nicht mehr vorstellen können, ohne den anderen zu sein, ihre Beziehung mit den Worten "Du sollst" umschreiben würden, dann läge da wohl manches im Argen. Und ganz besonders dann, wenn es um die eigenen Kinder geht, um all die Liebe, die Eltern in die Kleinen oder dann auch Großgewordenen investieren. Um ganze Achterbahnen von Gefühlen geht es da, um alles, nur nicht um Sollen und Müssen.

Aber wenn der Pfarrer nach Liebe fragt, wenn es um Glaube und Kirche geht, dann fällt vielen häufig nur eines ein: Du sollst! Denn Kirche hat ja immer mit Sollen zu tun. In der Kirche muss ich ja immer etwas: Gebote halten, Pflichten erfüllen, mich im Glauben bewähren.

Wenn das alles getan ist, dann - so glauben es viele -, dann erst schenkt Gott ja seine Gnade; ansonsten falle ich aus ihr heraus, falle aus seiner Liebe wieder heraus. So denken es viele. Und sie denken es falsch!

Der erste Johannesbrief macht es mehr als deutlich. Haben Sie etwas von Geboten gehört, eben, in dieser Lesung?

Natürlich, auch die Johannesbriefe sprechen davon, dass sich Menschen, die Gott erkannt haben, an ihn und seine Wegweisung halten, ihm folgen, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Aber sie tun das doch nicht, um ein Gebot zu erfüllen, um vor Gott gut dazustehen und um seine Liebe dadurch gleichsam zu erarbeiten.

Gottes Liebe - das ist die Botschaft des ersten Johannesbriefes -, Gottes Liebe zeichnet sich dadurch aus, dass er uns schon lange geliebt hat, lange, bevor wir auch nur zu erahnen in der Lage waren, dass es ihn überhaupt gibt.

Und er liebt uns auch nicht etwa, weil wir so gut wären oder alles toll und richtig machen würden. Seine Liebe, schließlich, erträgt ja erst all unsere Fehler und überwindet sie am Ende. "Denn nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben", heißt es im Text, "sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat." Er liebt genau uns Menschen, die wir ohne ihn einfach nur halbherzig, schlecht, ja - Versager wären.

Und er liebt auch nicht erst dann, wenn man sich zu ihm bekennt, sich auf seine Seite stellt und an ihn glaubt. Alle liebt er, alle Menschen, egal, wie alt sie sind, egal, welches Geschlecht sie haben, welche Hautfarbe, egal, wo sie wohnen, ja selbst egal, was sie glauben. Seiner Liebe zum Menschen tut das keinen Abbruch.

Und der erste Johannesbrief setzt sogar noch einen drauf: Nicht nur, dass er auch diejenigen liebt, die von ihm gar nichts wissen wollen. Nimmt man diesen neutestamentlichen Brief wirklich ernst, dann kann es sogar sein, dass Menschen, die Gott ständig im Munde führen und in unseren Augen fromm bis dorthinaus sind, ihn selbst wirklich gar nicht erkannt haben, von ihm sogar weiter entfernt sind, als Menschen, die wir vordergründig gar nicht mit Gott in Verbindung brächten.

Ob man Gott erkannt hat, ob man Gott gefunden hat, das erweist sich nämlich nicht am Bekenntnis, am Studium, nicht an irgendwelcher Theologie und auch nicht am Verinnerlichen noch so vieler Katechismusantworten. Es erweist sich nicht einmal an der Kirchenzugehörigkeit. Nicht einmal sie gibt Aufschluss darüber, ob jemand Gott erkannt hat oder nicht.

Wirklich davon sprechen, dass ein Mensch Gott in seinem Leben gefunden hat, kann nach Ausweis des ersten Johannesbriefes, nämlich nur derjenige, der liebt, der liebevoll mit Mensch und Umwelt umgeht.

Jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott - ganz egal wie und auch egal wo auf der Welt. Und wer nicht liebt, hat Gott auch nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe.

Was für ein Text! Was für eine revolutionäre Botschaft! Was für ein alle Dimensionen, alle Grenzen und alle Engherzigkeit sprengender Gott.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 20./21. Mai 2006 in den Kirchen der Seelsorgeeinheit St. Peter, Bruchsal)