Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


4. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (Apg 4,8-12)

In jenen Tagen sagte Petrus, erfüllt vom Heiligen Geist: Ihr Führer des Volkes und ihr Ältesten! Wenn wir heute wegen einer guten Tat an einem kranken Menschen darüber vernommen werden, durch wen er geheilt worden ist, so sollt ihr alle und das ganze Volk Israel wissen: im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat. Durch ihn steht dieser Mann gesund vor euch. Er - Jesus - ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen. (Apg 4,8-12)

Bei so mancher Burgruine habe ich schon darüber gestaunt, wie da die Umfassungsmauern direkt wie an den Felsen geklebt scheinen. Da wächst die Mauer gleichsam aus dem Berg heraus.

Die Baumeister dieser Burgen haben sich den natürlichen Gegebenheiten optimal angepasst. Das war nicht nur praktisch, sparte nicht nur Baumaterial, sondern gab den Mauern dieser Festungen erst ihre fast unüberwindbare Stärke und lange Zeit auch ihre Uneinnehmbarkeit.

Natürlich sehen solche Mauern recht eigenartig aus. Manche dieser Felsen quellen richtiggehend unter dem Mauerwerk hervor. Und das Nebeneinander von gewachsenem Fels und behauenen Steinen ist von einer ganz eigenen Ästhetik und nicht unbedingt jedermanns Sache.

Ob man das heute auch noch so bauen würde?

Liebe Schwestern und Brüder,

in einer Zeit, in der ganze Rebgebiete mit Planierraupen zurechtgeschoben werden, damit der Weinbau maschinengerecht werden kann, in solch einer Zeit würde man Verteidigungsanlagen sicher auch nicht mehr den Felsen anpassen.

Wenn man den Untergrund entsprechend bearbeitet, das Gestein wegsprengt und das Gelände planiert, lassen sich schließlich viel effektivere Wälle errichten, ganz andere Mauern planen und wirklich uneinnehmbare Festungen bauen.

Es gibt eben zwei Möglichkeiten mit solchen Felsen umzugehen: Ich kann das Bauwerk dem Untergrund und den Felsen anpassen oder ich bearbeite das Gestein so lange, bis ich ein Gebilde errichten kann, wie es meinen Plänen entspricht.

Daran musste ich denken, als mir in der heutigen Lesung das Wort vom Eckstein begegnet ist. Jesus Christus als Eckstein - ein Stein, der maßgebend für das ganze Gebäude werden soll.

Zwei Möglichkeiten gibt es nun: Entweder ich passe mich diesem Stein an und baue ausgehend von ihm - so wie die Burgen des Mittelalters sich gleichsam an den Felsen schmiegen. Oder aber ich bearbeite den Stein so lange, bis er den Vorstellungen des Architekten entspricht und sich nahtlos in das Gebäude einfügt.

Was geschieht heute? Wie ist Christus heute Eckstein in seiner Kirche?

Ist er das Maß aller Dinge? Richtet sich alles nach diesem Felsen aus? Oder ist er schon ziemlich glattgeschliffen, die Kanten gebrochen, schön eingepasst in das Gefüge, das sich Generation um Generation zurechtgezimmert hat, das aber am Ende kaum noch etwas mit der urwüchsigen Gewalt des ursprünglichen Felsens zu tun hat?

Christus, das Maß aller Dinge - oder unsere Vorstellungen das Maß, nach dem wir uns einen Jesus Christus zurechtgezimmert haben, so, wie wir ihn halt gerne hätten, wie wir ihn uns denken können, wie er unseren Wünschen entspricht? Haben wir uns Christus nach unseren Vorstellungen bereits zurechtgebastelt?

Manchmal bekomme ich den Vorwurf zu hören, dass ich genauso mit Christus umgehen würde. So wie ich von ihm spreche, so sei er nicht gewesen. Das würde ich mir alles nur zurechtbiegen und nach meinen eigenen Wünschen gestalten, mir nur herausnehmen, was mir passen würde.

Ich nehme diesen Vorwurf sehr ernst. Denn er ist das große Fragezeichen für jeden von uns. Wie war Jesus wirklich, was will er wirklich und was will er von mir? Und wie stellt er sich seine Kirche vor. Wie müsste eine Kirche beschaffen sein, die sich ganz von ihm her gestaltet.

Werden wir es in diesem Leben je wissen können?

Vermutlich werden wir alle - Papst, Bischöfe, Pfarrer, alle Gläubigen und auch die, die noch nicht glauben - mit offenem Mund da stehen, wenn wir ihm dann wirklich von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Vielleicht wird er so weit weg von all unseren Vorstellungen sein, wie die Messiasvorstellung, die die Menschen damals zu seiner Zeit hatten, von dem entfernt war, was Jesus tatsächlich verkörperte. Und vermutlich müssen wir alle deshalb mit Aussagen, dass er genau so und nicht anders gewesen sei, ganz, ganz vorsichtig sein.

Das enthebt mich aber nicht der Aufgabe, immer wieder danach zu fragen, was ich von ihm und über ihn dann überhaupt wissen kann; all das zu suchen, was mir wenigstens einen Teil von ihm erschließt, das aufzuspüren, was mit einigermaßen Sicherheit von ihm her überliefert ist.

Und die Auskunftei, die noch mit der höchsten Verlässlichkeit von ihm spricht, das ist die Heilige Schrift. Indem wir durch die Texte hindurch diesen Jesus von Nazareth, den bei Gott erhöhten Christus zu greifen versuchen, dadurch bekommen wir die vielleicht beste Auskunft, die wir überhaupt erlangen können. Bei aller Interpretationsbedürftigkeit, bei aller Schwierigkeit unterschiedlicher Auslegung - es ist immer noch die gesichertste Auskunft, die es überhaupt gibt.

Alles, was über Jesus gesagt wird, und alle Bilder, die sich Menschen je von ihm gemacht haben, müssen sich am Zeugnis der neutestamentlichen Schriften messen lassen. Und wenn etwas diesem Zeugnis nicht entspricht, wenn etwas der biblischen Auskunft entgegensteht, dann müssen wir sehr vorsichtig sein, darin den authentischen Jesus erblicken zu wollen.

Wir wollen unser Haus, unsere Kirche, schließlich auf ihn gründen, nach ihm ausrichten, an ihn anlehnen und aus ihm herauswachsen lassen, so wie eine mittelalterliche Burg gleichsam aus dem Felsen herauswächst. Wir wollen nicht eigene Gebäude zimmern, die hervorragend in unsere Pläne passen und alle unsere Vorstellungen fest gefügter Kirchen mit optimalen institutionellen Strukturen verwirklichen, aber Jesus Christus nur noch unterbringen, wenn er ordentlich behauen und auf die passende Größe gestutzt ist.

Ein feste Burg ist unser Glaube. Aber er kann es nur dann sein, wenn er wirklich wie so eine Burg auf dem gewachsenen Felsen Christus aufbaut, wenn er sich von ihm her das Maß setzen lässt und dieser Jesus wirklich der Eckstein ist, der die Basis von allem darstellt, alles zusammenhält und alles genau deshalb auch zu tragen vermag.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 10. Mai 2003 in der Pauluskirche, Bruchsal)