Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 4,35-41)
An jenem Tag, als es Abend geworden war, sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; einige andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen? (Mk 4,35-41)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn das so ist, dann glaube ich wohl auch zu wenig! Wenn das Kleinglaube ist, ein Zeichen von Unglaube, dann fehlt mir wohl auch noch eine gehörige Portion.
Ich kann mir schließlich nicht vorstellen, dass mich der Sturm damals kalt gelassen hätte, dass ich zu denen gehört hätte, die während des Sturms voll Vertrauen ruhig im Boot gesessen wären. Ich bin mir sicher, dass auch ich geschrieen hätte. Ich wäre ganz sicher unter denen gewesen, die da geschrieen haben: "Herr kümmert es dich nicht, dass wir untergehen." Ich hätte tierische Angst gehabt.
Und ich bin mir da so sicher, weil ich mich mittlerweile kenne, weil ich weiß dass ich eben Angst habe - und zwar immer wieder.
Und noch so viel frommes Gerede hilft da nicht d'rüber hinweg; das ist ganz einfach so. Ich kann es schließlich nicht einfach wegdiskutieren. Es nicht wahrhaben zu wollen, das hieße, sich in die eigene Tasche zu lügen.
Ich hab' Angst, und zwar immer wieder, und in den unterschiedlichsten Situationen.
Als Kind schon, da hatte ich so ganz richtige Angst vor dem Sturm, vor dem Gewitter, da hat mich nichts im Bett gehalten, wenn es geblitzt und gedonnert hat. Und jetzt hab' ich oft Angst vor ganz anderen Stürmen, vor dem was kommen wird, wie's mir wohl noch ergehen wird, ob ich das alles pack' was noch auf mich zukommt, und vor allem wie ich es packe!
Ich hab' Angst davor, was die anderen dann dazu sagen werden, wie es wohl auf andere wirken wird, wie ich auf andere wirke; Angst davor, zu versagen, beurteilt zu werden, ausgelacht, nicht ernst genommen, vielleicht sogar ausgenutzt zu werden. Angst davor, nicht der sein zu dürfen, der ich bin, mich dauernd verstellen zu müssen.
Ich habe Angst. Und das nicht zuzugeben, das hieße, sich in die eigene Tasche zu lügen.
Natürlich habe ich gelernt, dass das alles unnötig ist, natürlich weiß ich, dass Gott mich liebt, dass ich vor ihm so sein darf, wie ich bin, dass er mich nicht im Stich lässt, und zu mir steht. Natürlich weiß ich, dass er mit im Boot ist und wir nicht allein sind. Natürlich weiß ich es - im Kopf! Aber was ist mit dem Bauch? Was ist, wenn ich halt im Bauch dennoch ein anderes Gefühl spüre, wenn ich dennoch Angst habe?
Genau da tut mir das heutige Evangelium da gut. Es tut mir gut zu entdecken, dass es den Jüngern damals nicht anders gegangen ist, dass es denen, die die ganze Zeit mit Jesus zusammen waren, kein bisschen anders erging, dass sie Angst hatten, Angst, obwohl sie wussten, dass Jesus mit ihnen im Boot war. Und das anzuschauen, das macht mir Mut,
Mut es dann ganz einfach auch zuzugeben, zuzugeben, dass ich Angst habe, Mut, meine Angst nicht zu verstecken, sondern ganz einfach dazu zu stehen. Das nimmt sie mir nicht, das ist mir klar, aber es ist ehrlicher, und wohler ist mir auch dabei.
Angst zu verbergen, das kostet schließlich auch ganz schön Kraft. Und vielleicht entdecke ich dann, dass es ja auch noch andere gibt, andere, denen es genauso geht. Vielleicht sind es ja sogar viele, denen es genauso geht wie mir, die die gleichen Ängste haben. Und vielleicht tut es ja dann schon gut zusammenzurücken, so wie die Jünger im Boot damals. Vielleicht tut es dann ja schon gut zu spüren, dass man nicht allein ist mit seiner Angst, dass da andere sind, denen es genauso geht.
Und warum denn nicht, warum sollen nicht auch wir - so wie die Jünger im Boot damals - warum sollen nicht auch wir in den verschiedensten Ängsten, die uns bewegen, warum sollen wir nicht ganz einfach zu ihm rufen, ja warum schreien wir nicht einfach zu diesem Gott, warum schreien wir ihm unsere Angst nicht einfach ins Gesicht. Warum sollen nicht auch wir zu ihm schreien: "Herr Gott, wo bist Du? Warum spür' ich dich nicht? Lass doch etwas von Dir hören! Zeig' uns doch, dass Du wirklich da bist, dass Du nicht schläfst, dass Du Dich kümmerst, Dich kümmerst um uns, um mich. Lass es mich spüren! Und wenn das Kleinglauben sein sollte, dann hilf meinem Glauben: Zeig mir, dass ich wirklich keine Angst zu haben brauche."
Warum sollen nicht auch wir, so wie die Jünger damals im Boot, warum sollen nicht auch wir diesem Gott unsre Angst ins Gesicht schreien. Und selbst wenn sie dadurch nicht verschwindet, selbst wenn ich dadurch meine Angst endgültig nicht losbekommen sollte, selbst, wenn ich ihn dabei dann nicht hautnah erfahre und nachher voller Begeisterung dastehe, wenn sich rein äußerlich vielleicht gar nicht so viel dadurch verändert - wenn wir's ihm gemeinsam ins Gesicht schreien können, vielleicht hilft allein das ja schon. Vielleicht hilft das ja schon, anders mit meinen Ängsten zu leben.
Und wer weiß, wenn wir lange genug rufen, vielleicht spüre ich es ja auch einmal, vielleicht spüre ich es dann wirklich einmal, dass er da ist, dass er aufsteht, dem Wind droht und zum See sagt: "Schweig, sei still!" Und vielleicht entdecke ich sogar, dass ich es manchmal schon gespürt habe:
Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein.
(gehalten am 19. Juni 1994 in der Schlosskirche Mannheim)