Unser Glaube

Ein Versuch zeitgemäßer Antworten


Weiter-Button Zurück-Button "Er stürzt die Mächtigen vom Thron..." (Lk 1,52) -
Christ und Gesellschaft

Wie stellt sich Jesus Gesellschaft vor? Ist das Evangelium "politisch"? Und wie steht es um das Verhältnis von Kirche und Staat? Gibt es eine christliche Gesellschaft? Welche Rolle spielt Kirche in der Arbeitswelt und welche Bedeutung hat der Sonntag?


Ganz zu Anfang seines Wirkens ging Jesus - wie das Lukasevangelium berichtet - nach Nazaret in die Synagoge und bekam dort das Buch des Propheten Jesaja gereicht.

Er schlug auf und fand die Stelle, an der es heißt:

"Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe." (Lk,4,18-19, vgl. Jes 61,1f)

Und der Evangelist Lukas fährt fort:

"Dann schloss er das Buch, gab es dem Synagogenvorsteher und setzte sich. ... Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt." (Lk 4,20-21)

Das Jobel- oder Jubeljahr

Ein bekannter Text. Und was er bedeutet, ist im Grunde auch recht klar: Ausgehend von dieser Stelle aus dem Buch Jesaja lässt das Lukasevangelium Jesus den Menschen in Nazaret erklären, dass sich die alten Prophezeiungen erfüllt haben und dass er der Gesalbte des Herrn, dieser angekündigte Messias, ist.

So kennen wir diese Stelle, so wird sie immer wieder sinnig und erbaulich ausgelegt. Und vielleicht wird noch dazugesagt, dass sich dieser Messias vor allem zu den Armen gesandt weiß; dass er den Menschen, die am Rande stehen, seine gute Nachricht - sein Evangelium vom kommenden Gottesreich - bringen will.

Damit hat es sich dann aber in aller Regel. Das Wort, das wirklich Zündstoff enthält, bleibt bei der Interpretation dieser Stelle aus dem Lukasevangelium meistens außen vor. Mir selbst ist das nicht anders gegangen. Auch ich habe die ganze Tragweite dieses Abschnittes immer übersehen. Erst vor ein paar Jahren hat mich jemand auf das Wort aufmerksam gemacht, von dem her der ganze Abschnitt ein völlig anderes Gewicht erhält. Und aus der schönen, erbaulichen Lesung wird plötzlich ein eminent politischer Text: Jesus ist nämlich gekommen, um ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen!

Hinter diesem Wort "Gnadenjahr", das die Einheitsübersetzung hier verwendet, steckt der alte israelitische Begriff vom "Jubel-" oder "Jobeljahr". Und diese Einrichtung war dazu geeignet, dass sich so manchem Israeliten, so manchem Juden zur Zeit Jesu die "Nackenhaare stellten", wenn er schon allein dieses Wort hörte.

Die Einrichtung des Jubeljahres geht zurück auf das Buch Levitikus, das dritte der sogenannten fünf Bücher Mose. Dort wird angeordnet, dass alle sieben Jahre ein Sabbatjahr sein solle. In solch einem Sabbatjahr solle auch die Erde zur Ruhe kommen. Die ausgelaugten Äcker sollten nicht bebaut, die Weinberge nicht beschnitten werden. Kurz: die Natur sollte sich erholen können.

Immer nach sieben mal sieben Jahren aber - also in jedem 50. Jahr - sollte ein Jubeljahr des Herrn sein, ein heiliges Jahr. Solche heiligen Jahre in Israel hatten eine ganz andere Dimension als das Heilige Jahr, das der Papst ausruft. Hier ging es nicht um erbauliche Festlichkeiten oder geistige Erneuerung.

Im Buch Levitikus wird erklärt, was es mit solch einem heiligen Jahr auf sich hat:

"In diesem Jubeljahr soll jeder von euch zu seinem Besitz zurückkehren." (Lev 25,13)

Was diese eher rätselhaften Worte bedeuten, wird später genauer ausgeführt:

"Wenn dein Bruder verarmt und etwas von seinem Grundbesitz verkauft, soll sein Verwandter als Löser für ihn eintreten und den verkauften Boden seines Bruders auslösen. Hat einer keinen Löser, hat er aber die nötigen Mittel für den Rückkauf selbst aufgebracht, dann soll er die Jahre seit dem Verkauf anrechnen und den Restbetrag dem Käufer zurückzahlen; sein Grundbesitz fällt an ihn zurück. Bringt er die nötigen Mittel für diese Ersatzleistung nicht auf, dann soll der verkaufte Grund bis zum Jubeljahr im Besitz des Käufers bleiben. Im Jubeljahr wird das Grundstück frei, und es kommt wieder zu seinem Besitz." (Lev 25,25-28)

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das Grundstück fällt wieder an seinen eigentlichen Besitzer zurück. Nicht anders lautete die Vorschrift, wenn ein Israelit sich aufgrund einer sozialen Notlage als Sklave verkaufen musste. Im Jubeljahr musste er freigelassen werden. Seine Schuld ist getilgt, egal ob er jetzt vierzig Jahre, zehn Jahre oder nur ein Jahr für seine Schulden als Sklave gearbeitet hat. Im Jubeljahr sind alle Schulden erlassen.

Was die Bibel unter Besitz versteht

Hintergrund dieser ungewohnten Vorschriften ist die Israel eigene Auffassung von Besitz. Land und Leben gehören nämlich nicht mir. Sie sind mir lediglich von Gott, dem eigentlichen Eigentümer, anvertraut.

Weil Gott aber diesen Besitz und dieses Leben mir anvertraut hat, können diese Güter auch nicht endgültig verkauft werden. Ich kann nicht so tun, als ob sie einfach mir gehören würden. Und ein anderer kann sie sich deshalb auch nicht einfach "unter den Nagel reißen". Im Letzten gehört alles Gott, und er verteilt die Dinge so, dass jeder das Seine zum Leben erhält.

Das biblische Konzept - eine Utopie

Deshalb gibt es auch die Anordnung einer generellen Entschuldung alle fünfzig Jahre. Keine Familie, keine Sippe sollte endgültig in Abhängigkeit oder sozialer Not verbleiben.

Diese biblische Weisung ist ein ungeheures soziales Konzept - eine Vorstellung, die im Grunde alle Grundpfeiler unseres Wirtschaftens über den Haufen wirft, die aber auch schon in Israel auf wenig Gegenliebe stieß. Es ist kein Wunder, dass es kaum einmal Jubeljahre gab. Es ist mir nicht bekannt, dass diese Einrichtung lange existierte. Man wird dafür gesorgt haben, dass diese Vorschriften recht bald verwässert und abgeschwächt wurden.

Als Jesus sein Wirken begann, gab es solche Jubeljahre auf keinen Fall mehr. Umso bemerkenswerter ist es, dass er zu Beginn seines öffentlichen Wirkens genau diese Forderung wieder aufwirft.

Politik und Christentum

Das ist Jesu Programm - ein eminent politisches Programm: Er ist gekommen, um ein Jubeljahr des Herrn auszurufen. So politisch ist das Evangelium, solch politische Sprengkraft würde die Botschaft des Christentums enthalten, wenn wir Christen sie wirklich ernst nehmen würden.

Doch wir haben aus dem Satz "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist" - im Grunde fälschlicherweise - abgeleitet, dass wir Christen immer staatstragend sein müssen. Und damit meinen wir wohl augenscheinlich, dass wir uns den herrschenden Verhältnissen anzupassen haben. Gerade deshalb fällt es unserer Kirche oft so schwer, wirklich deutlich gegen Unrechtsregime aufzutreten. Und dabei hat Jesus selbst uns doch vorgemacht, was es bedeutet, Gott mehr zu gehorchen, als den Menschen!

So müssen wir als Christen vom Evangelium her - auch heute, auch in unserer Gesellschaftsform - deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie vielleicht eine erträgliche Gesellschaftsform ist, aber noch lange keine christliche.

Von unterschiedlichen Zielen des Wirtschaftens

Das beginnt schon mit dem Ziel unseres Wirtschaftens. Dies ist letztlich auf Gewinn ausgerichtet. Und der Vermehrung des Gewinns müssen sich alle anderen Überlegungen am Ende auch unterordnen.

Natürlich ist gerade der Sozialstaat darauf angewiesen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Aber es muss klar sein, was Zweck und was Mittel ist. Gerechtigkeit auf hohem materiellem Niveau ist der Zweck, Ökonomie ist das Mittel.

Die Erzielung des höchstmöglichen Gewinns stellt sich bei uns jedoch seit jeher als eigentlicher Zweck dar. Und das heißt im Letzten, dass die Ökonomie zum Selbstzweck geworden ist.

Da ändert sich auch nichts daran, wenn sich seit geraumer Zeit immer mehr Unternehmen um Diskussionsforen zu Themen der Wirtschaftsethik bemühen. Viel zu oft hat diese moderne Betonung der Ethik eine "Feigenblattfunktion". Sie soll letztlich dazu herhalten, vor aller Welt zu erweisen, dass die Verhältnisse im Grunde gar nicht so schlecht und unmenschlich sind, wie sie häufig dargestellt werden.

Die Bibel hat da eine völlig andere Vorstellung vom Wirtschaften. Biblisch betrachtet ist das Ziel des Wirtschaftens nicht irgendein Gewinn, sondern allein die Versorgung.

Von dieser Haltung kann bei uns keine Rede sein. Dass alle Menschen einer Gesellschaft ihr Auskommen haben, ist für die Wirtschaft nicht im Blick. Das überlässt sie den mehr oder minder gut funktionierenden Sozialsystemen der jeweiligen Staaten.

Von der Höherbewertung der geistigen Arbeit

Auch in einer anderen Voraussetzung weicht unser Wirtschaften vom biblischen Ideal deutlich ab: bei der Einschätzung und der Beurteilung der Arbeit.

Arbeit bewerten wir vorab auf dem Hintergrund eines Denkens, das letztlich in der Antike geprägt wurde, insbesondere in Griechenland. Dort waren Politik und Gerichtswesen, das Leiten und Ordnen des Bürgerstaates angesehene Tätigkeiten. Und die sie ausübten - die "Kopfarbeiter" - hatten das Privileg, nicht körperlich arbeiten zu müssen.

Arbeit aber galt als Handeln, bei dem man keine Tugend erwerben konnte - und deshalb wurde sie auch verachtet. Dies ging Hand in Hand mit der Stellung derjenigen Menschen, die solche Tätigkeiten vor allem verrichteten: der Sklaven. Sie bildeten das unterste Glied im gesellschaftlichen Gefüge, ja sie gehörten eigentlich gar nicht mehr zu dieser Gesellschaft dazu.

Dieses Denken prägt bis heute die Einschätzung des Wertes der Arbeit in unserer Gesellschaft. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Kopfarbeit bei uns einen weit höheren Stellenwert hat als körperliche Arbeit und vielfach auch besser bezahlt wird?

Unterschiedliche Verantwortung

Nun hört man immer wieder das Argument, dass dies eben mit der höheren Verantwortung zusammenhängen würde, die manche Berufe mit sich brächten. Der Ingenieur hätte eben eine höhere Verantwortung als der Bedienstete der städtischen Reinigungsbetriebe.

Aber wenn sich die Bezahlung tatsächlich nach der Verantwortung richten würde, dann müsste wohl mancher Manager ob seiner Verantwortungslosigkeit auf Sozialhilfe heruntergestuft werden. Und nach dem Eisenbahnunglück von Eschede müssten die Kontrolleure der Radsätze in den ICE-Bahnbetriebswerken zu den bestbezahlten Menschen der Republik gehören.

Arbeit in der jüdisch-biblischen Tradition

Es ist vielleicht ganz hilfreich, in diesem Zusammenhang wieder einmal die biblische Tradition zu Rate zu ziehen. Nach jüdisch-biblischem Denken gibt es eine solche Gegenüberstellung von Kopfarbeit und körperlicher Arbeit nicht. Ganz im Gegenteil. Wer nur mit dem Kopf arbeitete, wer nichts anderes tat, als nachzudenken, der war der jüdischen Gesellschaft im Grunde suspekt. Meiner Hände Arbeit, um mein tägliches Brot zu verdienen, gehörte ganz einfach dazu. Deshalb musste auch der Rabbi - der "Kopfarbeiter" in Israel - ein Handwerk lernen.

Arbeit und Ruhe

Israel war dadurch auch davor gefeit, einer Fehlentwicklung zu unterliegen, die wir in Griechenland ganz deutlich feststellen können.

Dort nämlich konnte es sich nur der leisten, Ruhe und Erholung zu genießen, der nicht körperlich arbeiten musste. Von der Arbeit gab es als Erholung lediglich den Schlaf. Wer wäre auch auf die Idee gekommen, Sklaven zusätzlich freie Zeit einzuräumen?

In Israel kam man auf diese - andernorts als absurd - geltende Idee. Man kannte in Israel die Arbeit für alle - und man kannte dementsprechend genauso die Ruhe für alle. Am Sabbat ruhten auch die Sklaven - die es natürlich auch in Israel gab, wenn auch rein zahlenmäßig in weitaus geringerem Maß.

Die soziale Errungenschaft des Sonntages

Dieser gemeingesellschaftliche Ruhetag ist im Übrigen das einzige Element, das wir aus dem biblischen Gesellschaftsmodell wirklich übernommen haben.

Und ausgerechnet dieses Element - der Sonntag - steht augenblicklich in der Gefahr, auf dem "Altar" der Sachzwänge und wirtschaftlichen Notwendigkeiten geopfert zu werden.

Zum Glück wachen die Kirchenleitungen langsam auf und wehren sich gegen den Abbau dieser Errungenschaft, die für unsere Gesellschaft weit größere Bedeutung hat als die meisten augenblicklich noch meinen. Mögen die Unrecht haben, die mutmaßen, dass es eigentlich schon viel zu spät ist!

Kirche als Anwalt der Schwachen

Kirche müsste viel früher aufstehen. Sie müsste von vorneherein den Finger in die Wunden legen, im Blick auf all diejenigen, deren Stimme in der Öffentlichkeit sonst nicht gehört würde. In der Nachfolge Jesu ist es nämlich Aufgabe der Kirchen, sich zur Anwältin und Sprachrohr der Schwachen, Armen und Unterdrückten zu machen.

Kirche als Kontrastgesellschaft?

Und eigentlich stünde es Kirche gut an, wenn sie in ihrem Bereich so etwas wie eine "Kontrastgesellschaft" entwickeln würde - wenn sie sich in ihren eigenen Arbeits- und Wirtschaftsformen gerade nicht der übrigen Gesellschaft angleichen, sondern alternative und gerechtere Wege entwickeln würde.

Leider scheint sie auch da immer wieder zu versagen. Sonst wären es wohl gerade nicht die kirchlichen Angestellten gewesen, die darauf gedrängt haben, dass sich Kirche in der Besoldungsstruktur dem staatlichen Gehaltsschema angleichen solle. Vermutlich hat man gerade im Bereich der Kirche nur allzu häufig die Erfahrung gemacht, dass es dort mindestens ebenso "ausbeuterisch" zugehen kann wie in den schlimmsten Wirtschaftssystemen. Der sogenannte "VG-Tarif", bei dem Menschen eben mit einem "Vergelt's Gott" abgespeist werden, ist ja schon sprichwörtlich geworden.

Es wäre dementsprechend mehr als blauäugig zu erwarten, dass sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen mittelfristig vieles zum Guten verändern würde.

Die vier Prinzipien der christlichen Gesellschaftslehre

Die christliche Gesellschaftslehre hat zumindest ein Instrumentarium entwickelt, um Prozesse, die ablaufen, beurteilen zu können, kritisch zu begleiten und vielleicht bei der einen oder anderen Frage - zumindest korrigierend - eingreifen zu können. Es handelt sich dabei um die berühmten vier Prinzipien der christlichen Gesellschaftslehre:

Das erste dieser Prinzipien ist das Person(alitäts)prinzip. Es besagt, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist, befähigt zum Dialog und zur Begegnung mit anderen. Und es besagt, dass jeder Mensch seine Anlagen und Fähigkeiten auch entfalten können muss. Staatliche Regelung und wirtschaftliche Strukturen müssen dieser Forderung Rechnung tragen.

Das zweite Prinzip ist das Solidaritätsprinzip. Es besagt, dass jeder Mensch als Glied einer Gemeinschaft auch Mitverantwortung für diese Gemeinschaft trägt. Das Wohlergehen des Einzelnen ist demnach unlösbar verbunden mit dem Wohlergehen der Gemeinschaft. Dementsprechend müssen sich die Rechte des Einzelnen mit seinen Pflichten der Gemeinschaft gegenüber die Waage halten.

Das dritte Prinzip ist das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Beistand- und Hilfe-Prinzip besagt, dass jeder Einzelne und jede kleinere Gemeinschaft ihre Angelegenheiten so weit selbst regeln sollen - und dementsprechend auch regeln dürfen -, wie sie dazu in der Lage sind. Die größere Gemeinschaft soll erst dort eingreifen, wo ihre Unterstützung vonnöten ist, wo die kleinere Einheit überfordert ist. Vor allem im Bereich der Wohlfahrtsverbände und deren Förderung durch die öffentliche Hand wird bei uns dieses Subsidiaritätsprinzips konkret spürbar.

Das vierte Prinzip ist das Gemeinwohlprinzip. Es besagt, dass die politische Gemeinschaft existiert, damit das gemeinsame Wohl der in ihr zusammengeschlossenen Menschen gefördert werden kann. Dazu ist es andererseits notwendig, dass die Menschen diese Gemeinschaft auch anerkennen. Das bedeutet zum Beispiel konkret, dass Gesetze, die ein Staat etwa im Blick auf das Wohl seiner Mitglieder erlässt, von diesen Mitgliedern auch anerkannt werden müssen.

Am Person-, Solidaritäts-, Subsidiaritäts- und Gemeinwohlprinzip müssen sich gemäß der christlichen Gesellschaftslehre gesellschaftliche Zusammenhänge messen lassen. Es braucht dementsprechend vor allem unseren Einsatz, den Einsatz von Christen in dieser Gesellschaft, damit solche Ideale auch sichtbar und vor allem spürbar werden können.

Solcher Einsatz stößt selbstredend nicht immer auf Gegenliebe. Viele sagen, dass Glaube zunächst einmal Privatsache sei und die Kirchen sich deshalb aus der Politik heraushalten sollen. Aber das ist schlichtweg falsch.

Wer sich auf den Glauben der Bibel beruft, baut seine Glaubensüberzeugung auf einen Gott, der sich vor allem der Schwachen und Unterdrückten angenommen hat. Er hat das Geschrei seines Volkes in Ägypten gehört und dieses Volk aus der Sklaverei herausgeführt. Der älteste der Schriftpropheten, der Prophet Amos, ist im 8. Jahrhundert v. Chr. gegen alle gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit zu Felde gezogen. Und Jesus Christus selbst hat uns gezeigt, dass sich ein Leben aus dem Glauben vorab im Einsatz für den anderen Menschen verwirklicht. Danach nämlich wird er uns fragen, wenn er wiederkommt: Was wir für Kranke, Obdachlose und gesellschaftlich am Rande Stehende getan haben (vgl. Mt 25,31-46).

Christen haben demnach schon vom Evangelium her einen gesellschaftlichen Auftrag. Christ ist man schließlich nicht für sich selbst. Christ ist man für andere.

(Dr. Jörg Sieger)

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