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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider

Frauengemeinschaft St. Paul, 12. Februar 2019, Bruchsal

Welchen Einfluss haben Bibel und Sinnfragen auch heute noch auf Literatur und Popkultur?

Beginn mit Puhdys Wenn ein Mensch

Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt
sagt die Welt, dass er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt
sagt die Welt es ist Zeit.
Meine Freundin ist schön
als ich aufstand ist sie gegangen
weckt sie nicht, bis sie sich regt
ich hab' mich in ihren Schatten gelegt.
Jegliches hat seine Zeit
Steine sammeln, Steine zerstreuen
Bäume pflanzen, Bäume abhauen
leben und sterben und Streit
leben und sterben und Frieden und Streit

Wenn ein Mensch lebt ist ein Lied der Rockband Puhdys aus dem Jahr 1973. Es wurde durch den DEFA-Film Die Legende von Paul und Paula bekannt. Was habe ich bei dem Film geweint, wenn Paula am Ende stirbt! Ein Liebesdrama ohne Gleichen hat Ulrich Plenzdorf da geschrieben, der auch den Songtext verfasste. Es wird auf einen Bibeltext Bezug genommen. Der Text basiert auf dem Buch Kohelet, das vor allem Weisheitssprüche und Ratschläge zur Lebensführung enthält, Kapitel 3, Verse 1 bis 8, Teile des Kapitels, die nicht im Lied behandelt werden – etwa das Umarmen und Loslassen –, werden im Film thematisiert. Und das in einem DDR Film! Mit Wenn ein Mensch lebt wird der Film gleichsam als Ouvertüre eingeleitet.

Es ist nur ein kleines Beispiel für so viele. Immer wieder treffen wir auf Zitate, auf Texte, die uns mit den großen Sinnfragen konfrontieren, obwohl es scheinbar nichtchristliche Zusammenhänge sind, in denen sie erscheinen. Ich habe einiges ausgewählt, das ich heute in meinem Vortrag ansprechen oder streifen werde. Es ist viel, was zum Thema passt, ich konnte nur eine kleine Auswahl treffen und werde natürlich auch nur über Texte referieren, die ich selbst gelesen habe.

Storytelling zu deutsch Geschichten erzählen, ist eine neue Form der Wissensweitergabe, die an alte Traditionen anknüpft. Sowohl Religion als auch populäre Kultur funktionieren über Bilder, Musik, Rituale, Symbole und Erzählungen. In dem Punkt unterscheiden sie sich nicht von früheren Zeiten. Früher wurden die biblischen Geschichten, Mythologien, aber auch Märchen am Lagerfeuer weitergegeben, von Generation zu Generation erzählt.

Im Religionsunterricht und in der Firmvorbereitung wird mittlerweile Storytelling als Methode eingesetzt, um religiöse Inhalte durch metaphorische Geschichten weiterzugeben. Diese scheinbar neue Erkenntnis zielt auf etwas, was es schon lange gab. Religiöse Fragen, die Fragen nach dem Sinn wurden und werden in Romanen, Krimis, Liedern, Gedichten und Filmen verarbeitet und so näher gebracht oder auch als große Fragen stehen gelassen. Wenn ich in der Firmvorbereitung Herr der Ringe oder Harry Potter einbringe, um damit die Jugendlichen zu berühren und mit ihnen über Leben und Tod, Gut und Böse ins Gespräch zu kommen, tue ich nicht viel anderes. Es sind Heldengeschichten, in denen es um Erlösergestalten geht.

Ich konnte nur kleine Auswahl treffen, jeden Tag fiel mir Neues ein, ich habe mich nicht nur auf diese Heldengeschichten konzentriert, sondern auch auf Literatur, in der christliche Inhalte verarbeitet werden, obwohl es zunächst keine offensichtlichen Werke mit religiösen Inhalten sind. Ich habe 2 moderne Songs mit einbezogen, obwohl es in der Musik zuhauf Beispiel gäbe, denken wir nur an Oratorien, Passionen, Kantaten! All das habe ich weggelassen und nicht berücksichtigt.

Ich möchte statt dessen einen kleinen Streifzug durch Lyrik, Songs, Krimis, Romane, Fantasy und Filme machen, um zu zeigen, wo Glaubenszeugnisse, Spuren Gottes zu entdecken sind. Wie wir mit diesen umgehen, ob wir uns davon berühren lassen, ist unterschiedlich. Es ist auch eine Geschmackssache, nicht jeder gefällt das gleiche. Es ist auch eine sehr persönliche Auswahl, Werke mit denen ich etwas verbinde. Aber es ist vielleicht eine Anregung zum Nachdenken, zum Überlegen, wo ging es mir auch so?

Als ich 6 Jahre alt war, hat sich mir die Welt der Buchstaben geöffnet und es war für mich eine Offenbarung. Ich habe mich seit da an in Bücher förmlich verkriechen können. Und gerade die Frage nach menschlichen Schicksalen hat mich immer fasziniert. Es begann mit Kinderbüchern wie Heidi. Da ist es der Großvater, der Alm-Öhi, der vom Griesgram und Misanthropen zum liebevollen Menschen wird. Immer wieder klingt der biblische Bericht vom barmherzigen Vater an, das Bild liebt Heidi so. Auch der kleine Lord ist ähnlich gestrickt, der Film an Weihnachten lässt uns alle mit verweinten Augen zurück, wenn dann am Heiligabend Mutter und Großvater liebevoll vereint sind, nachdem der alte Lord vorher die Mutter seines Enkels mit Mißachtung gestraft hat. Da lässt ein kleiner Junge nicht nur Herzen erweichen sondern auch die Erkenntnis heranreifen, wie schlecht der Umgang der Herrschaft mit den Tagelöhnern, mit den Untergebenen vorher war.

Astrid Lindgren führt uns vor Augen, wie behutsam und vorsichtig wir mit Kindern umgehen sollten. Sie hat gegen die schwarze Pädagogik ihrer Zeit ein Zeichen gesetzt und Jesu Zitat aus Mk 10, 13 Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. 14 Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. 15 Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie. Nach diesem Motto hat Astrid Lindgren gehandelt. Pippi Langstrumpf die Rebellin meiner frühesten Kindertage war nicht brav und angepasst, wurde dafür aber nicht verurteilt sondern von Lindgren zur Heldin gemacht. Sie war Botschafterin einer Erziehung, die gewaltfrei und wertschätzend war und nahm Kinder als das Größte an.

Ein Schwerpunkt im Deutschunterricht meiner Schulzeit war DDR-Literatur. Ich habe eingangs schon die Puhdys zitiert, deren Song von Ulrich Plenzdorf geschrieben wurde, einem dieser Autoren. So lernte ich auch ein anderes Buch kennen, „Der König David Bericht“ vom Stefan Heym. Das Buch wurde 1972 veröffentlicht und ich habe es in der Schule kennengelernt, als wir DDR-Literatur besprachen. Später war ich 1982 auf dem Düsseldorfer Katholikentag in seiner Autorenlesung. Auch hier wieder ein Beispiel aus der DDR. Wie kommt ein überzeugter Kommunist, der in Chemnitz geboren wurde, dann nach der Machtübernahme durch die Nazis in die Tschechoslowakei und später in die USA emigrierte, dort sogar eingezogen wurde und als amerikanischer Offizier in Deutschland unter den Alliierten kämpfte, später aus ideologischen Gründen in die DDR zog, dazu, seine Kritik am Staat in ein Buch mit biblischem Bezug zu packen? Am Hofe des Königs Salomo wird eine Kommission eingerichtet, in der über König David und dessen Personenkult, seinen Umgang mit Frauen, mit Macht, mit seinen Soldaten ermittelt werden soll. Egal was der Historiker Ethan macht, der Geheimdienst ist hinter ihm her. Stefan Heym als Jude versteckte sein Dilemma mit seinem Staat in einem biblischen Bericht. Ich habe auf dem Katholikentag 1982 in Düsseldorf eine Autorenlesung mit Heym erlebt, der ja später nach der Wende auch Mitglied der PDS war, Alterspräsident des Bundestages und einer, der überall aneckte. Er konnte davon ausgehen, dass viele Menschen in der DDR überhaupt nicht verstanden, auf was er anspielte, weil sie nicht bibelfest genug waren. Das Buch wurde in der Bundesrepublik dagegen als Beispiel der Regimekritik gelesen. In der Zeit ging es auch um die Aufarbeitung des Stalinismus. Chruschtschows Stalin-Kritik in seiner Geheimrede „Über den Personenkult und seine Folgen“ auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 förderte in der sogenannten Tauwetter-Periode den Prozess der Entstalinisierung, der jedoch nach 1964 unter Leonid Breschnew teilweise wieder zurückgenommen wurde. Nach 1956 setzte auch in den kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Staaten eine Abkehr von Stalin zum Marxismus-Leninismus ein. Hören wir einen Ausschnitt aus dem König-David-Bericht, um zu verstehen, zu welchem Stilmittel Heym hier greift, um die Frage der Wahrheit zu erörtern:

Josaphat ben Ahilud trat vor, zog ein Tontäfelchen aus der Ärmelfalte und verlas: »Mitglieder der königlichen Kommission zur Ausarbeitung des Einen und Einzigen Wahren und Autoritativen Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David Ben Jesse, König von Juda […]

Der Bericht über den erstaunlichen Aufstieg und so fort trägt den Titel König-David-Bericht, und ist zusammenzuzustellen durch sorgfältige Auswahl aus und durch zweckentsprechende Benutzung von allem vorhandenen Material über den Aufstieg und so fort des verstorbenen Königs David, als da sind königliche Akten, Korrespondenz und Annalen, wie auch verfügbare mündliche Zeugnisse, ferner Legenden und Überlieferungen, Lieder, Psalmen, Sprüche und Prophezeiungen, insbesondere solche bezüglich der großen Liebe und Bevorzugung, die König David seinem geliebten Sohn und Nachfolger König Salomo erwiesen; und soll besagter Bericht für unsere und alle kommenden Zeiten Eine Wahrheit aufstellen und dadurch Allem Widerspruch und Streit ein Ende setzen, Allen Unglaubens an die Erwählung Davids ben Jesse durch unsern HErm Jahweh beseitigen, sowie Allen Zweifel an den Glorreichen Verheißungen ausmerzen, welche unser HErr Jahweh betreffs Davids Samen und Nachkommenschaft gemacht.«
Josaphat ben Ahilud, der Kanzler, verbeugte sich. König Salomo sah befriedigt aus. Er winkte mich heran und sagte : » Natürlich werde ich dir helfen, Ethan ben Hoshaja, solltest du straucheln oder im Ungewissen sein, wo Irrtum liegt und wo die Wahrheit. Wann kannst Du anfangen? «
Ich aber warf mich König Salomo zu Füßen und dankte ihm für das große Vertrauen, durch das er mich geehrt.

Abi in Deutsch habe ich über Reiner Kunze gemacht, auch einen DDR-Autoren. Geboren wurde er 1933, letztes Jahr erschien noch mal ein Gedichtbändchen zu seinem 85. Geburtstag. 1977 im Rahmen der Proteste gegen die Ausweisung von Wolf Biermann siedelte auch er in die Bundesrepublik über. Ich hatte ihn 1993 zu einer Dichterlesung eingeladen, er war auch schon hier im Schönborngymnasium. Er ist einer der bedeutendsten Lyriker der modernen Literatur, kein Christ, aber eines seiner Gedichte taucht in einem Buch, Gebete der Dichter auf:

AUF DEM KALVARIENBERG BEI RETZ IM JANUAR

Auch der weinstock ist ein gekreuzigter
Wie er sich in seiner nacktheit krümmt,
die arme zur seite gebunden
Ganz die gebärde des erlösers am sandsteinkreuz
Und blut und wasser wird zur beere,
aus der sie jahr für jahr
den süßen einträglichen wein keltern
Wie aus dem Stein den glauben
So viele gekreuzigte auf dem weg zu dem einenn

Gebete der Dichter, ein Buch, das insgesamt viel Lyrik beinhaltet, die auf den 1. Blick kein Gebet ist, dennoch, auch mit diesen Texten können wir beten, egal, ob die Verfasser selbst sie als solche betrachtet haben, oder nicht. Sie sind Auseinandersetzung mit unserem Glauben, bergen biblische Inhalte in sich.

IN der Schulzeit habe ich vieles gelesen. Ich bin heute froh darüber, so viel Zeit hatte ich nie wieder. Da begegnete ich auch Thomas Mann mit seinem „Joseph und seine Brüder“ oder Joseph Roth mit Hiob. Dort geht es um die Familie des jüdisch-orthodoxen Toralehrers Mendel Singer im (fiktiven) Schtetl Zuchnow in Russland und in dem folgenden amerikanischen Exil in der Zeit von 1900 bis nach dem Ersten Weltkrieg. Mendel erleidet in der Geschichte schwere Schicksalsschläge, durch die seine Frömmigkeit erschüttert und sein Glaube an Gott auf eine harte Probe gestellt werden. Am Ende stellt er fest, dass sein Sohn, der behindert auf die Welt kam, lebt und Erfolg hat und er kann Gott für sein Leben danken. „Er selbst, Mendel Singer, wird nach späten Jahren in den guten Tod eingehen, umringt von vielen Enkeln und „satt am Leben“, wie es im Hiob geschrieben stand, so heißt es ziemlich am Ende des Buches.

Patrick Roth Sunrise ist auch so ein Buch. Es trägt den Untertitel „Das Buch Joseph“ und handelt von Joseph, dem Heiligen, dem Mann Marias. Patrick Roth erzählt die unerhörte Geschichte des Joseph von Nazaret als die eines Zweifelnden, er erzählt von Josephs tiefem Glauben und seinem Ungehorsam wider Gott. Zugleich spürt 'Sunrise' der Möglichkeit eines Neuanfangs nach. Jerusalem im Jahre 70 nach Christus: Römische Truppen drohen die Schutzmauern zu durchbrechen. Die Belagerung der heiligen Stadt bildet den Ausgangspunkt dieses bildmächtigen Romans, dessen Bogen sich bis in die Zeit vor Jesu Geburt spannt. Im Mittelpunkt der Ereignisse steht Joseph, der Mann der Maria, von dem die Evangelien berichten, dass er Träumen gehorchte, als er Frau und Kind annahm. Patrick Roth entwirft ihm ein Leben voller Spannungen, ein Drama zwischen Mensch und dem Numinosen.

Da war Balthazar sprachlos. Und Monoimos wollte sich nochmals versichern: »Und sprichst uns also von diesem Grab ... -« Neith sprach: »... nach dem ihr doch sucht. Das zu finden ihr kamt und euch gewagt habt in die belagerte Stadt.« Und Balthazar, noch kann er’s nicht glauben: »Nein, wirklich, von eben dem Felsengrab sprächst du uns, das also ... das also ausschachtete Joseph? Joseph, der Nazoräer? Joseph, der Vater des Herrn ... ?« Neith sprach: »Von demselben.« Und Monoimos: »Nicht aber Joseph von Arimathäa wurde gelegt in das Grab, das grub Joseph. Sondern Jesus, der Christus. Sprichst du davon?« Neith aber antwortete: »Und nicht wurde Joseph von Arimathäa gelegt in das Tuch, das ich ihm weben wollte. Das wißt ihr. Und wißt es heute. Wir aber wußten nichts davon damals. Sondern nur glaubten zu wissen, für wen bestimmt sei das Grab und für wen bestimmt sei das Tuch. Und nur glaubten zu wissen, wer einst würde gelegt in das Grab und wer einst gehüllt in das Tuch. Denn jeder von uns war seinen eigenen Weg gegangen. War hergeführt, bis ans Ziel. Und keiner von uns wußte, daß es das Ziel war. Noch wußte es keiner. Und wir waren darin wie ihr heute. Denn ihr wißt es noch nicht.« Und Balthazar sprach: »Das allerdings habe ich nie gehört, nie gewußt, was du berichtest von Joseph, dem Nazoräer«

Auch solche Werke gibt es häufig, in denen es eher darum geht, neue Thesen aufzustellen, Glaubenswahrheiten auf den Kopf zu stellen, neue zu deklarieren. Lassen wir uns davon beunruhigen, zweifeln wir oder ist es einfach interessant, solche Bücher zu lesen und sich zu fragen, wäre das möglich? Wo stehe ich? Was sind meine Wahrheiten? Als Roman lasse ich mir vieles gefallen, als scheinbar theologisches Sachbuch sieht es nochmal anders aus. Der Roman darf spekulieren, erfinden, darf sich von der Realität auf andere Ebenen entfernen.

Die Auseinandersetzung mit Glauben, mit Themen der Bibel kann subtil, kann offen, kann auch so vollzogen werden, dass sie unbewusst geschieht. Als ich in der Oberstufe war, kam bei uns plötzlich das Herr der Ringe Fieber auf. Tolkien, der in England katholisch aufwuchs, weil seine Mutter Mabel Tolkien 1900 gegen den Widerstand der protestantischen Verwandten zum Katholizismus konvertierte. Um auch ihre beiden Söhne katholisch aufwachsen zu lassen, zieht sie zurück nach Birmingham. 1903 erhält Tolkien ein Stipendium an der King-Edward-School. Die Mutter stirbt im Jahr drauf und die Söhne wachsen bei einem katholischen Priester auf. 1937 erschien der Hobbit, Am 8. März 1939 hält er eine berühmt gewordene Vorlesung „On Fairy-Stories“, in der er seine wichtigsten Gedanken über phantastische Literatur und Mythologie zum Ausdruck bringt. 1954 wird Herr der Ringe veröffentlicht. Tolkien verarbeitet darin zutiefst christliche Motive. Es geht um das Ringen von Gut und Böse, um unscheinbare Menschen, die beauftragt werden, große Taten zu tun, aufzubrechen und die Menschheit zu retten, es geht um Umgang mit Macht, damit wie gefährlich es sein kann, bestimmte Dinge unbedingt in seinen Besitz bringen zu wollen, es geht um Gemeinschaft, Miteinander, um die Gefährten, die Probleme nur lösen können, wenn sie zusammenhalten. Es ist eine Heldengeschichte, Fantasie, aber mit Inhalten, die uns damals vorkamen, wie ein Glaubensbuch. Auch in der Generation meiner Kinder wurde ausgelöst durch das Erscheinen der Filme wieder eine Begeisterung für diesen Stoff geweckt.

Wenn ich an die vielen Glaubensgespräche im Studium denke, die wir durch Star Wars geführt haben. Auch dort wieder Fantasy, die Auseinandersetzung von Gut und Böse, eine Heldengeschichte, Menschen, die zu Außergewöhnlichem berufen sind, die Jedi-Ritter als religiöse Gemeinschaft. „Möge die Macht mit Dir sein“ als Ausruf eines Bekenntnisses, das hat uns, das hat viele bewegt und beschäftigt. Andere haben es als Blödsinn abgetan.

Auch Krimis können uns immer wieder mit Sinnfragen konfrontieren. Ich liebe Krimis, die menschliche Schicksale, die Abgründe der menschlichen Psyche in den Mittelpunkt stellen, bei denen es darum geht, zu ergründen, warum Menschen morden, Böses tun, Rache üben und ihr Handeln kriminell ist. Oft sind die Ermordeten ja eigentlich Täter und die Opfer waren die, die zum Täter wurden. Da bin ich oft mit denen solidarisch, die diejenigen töteten, die ihren Familien vorher unvorstellbares Leid zufügten. Wo bleibt da meine Feindesliebe? Wie komme ich damit klar, dass Jesus uns auffordert, keine Rache zu üben? Oft setzen sich die Autoren mit solchen Fragen auseinander? Welches Verhalten ist menschlich gesehen normaler? Vergebung? Rache? Beim Krimilesen kann ich mich mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Als meine Kinder dann anfingen mit Lesen, war es Harry Potter, der uns in den Bann gezogen hat. Auch da war es Fantasy wie bei Tolkien, die von den einen verteufelt wurde, viele Evangelikale verboten ihren Kindern die Bücher und Filme. Ich dagegen fand es toll, wie die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse von Joanne K. Rowling aufgearbeitet wird. Harry, der Junge, der überlebte, wird vom dunklen Lord Voldemort verfolgt, weil eine Prophezeiung besagt, dass dieser nur überleben kann, wenn er Harry tötet. Seine Eltern gaben ihr Leben, damit der Sohn weiterleben konnte! Voldemort glaubt an seine eigene Unsterblichkeit und bekämpft in allen Büchern Harry, der jedoch mit Hilfe seiner Freunde, mit Hilfe von Liebe immer überlebt. Und dann das Ende: Während der finalen Schlacht in Hogwarts erfährt Harry, dass er sterben muss, um Lord Voldemort sterblich zu machen, weil er einen Teil der Seele Voldemorts in sich trägt. Er ergibt sich diesem Schicksal und stellt sich dem dunklen Lord unbewaffnet, überlebt jedoch erneut den Todesfluch, während Voldemorts Seelenfragment in ihm vernichtet wird. Die Szene ist sowas von religiös, als Harry ein Nahtoderlebnis hat und seinem verstorbenen Schulleiter und Mentor Albus Dumbledore begegnet. Es ist eine Erlösergeschichte.

In der Adventszeit haben wir gemeinsam Geschichten gelesen. Meine große Tochter mochte nicht unbedingt besinnliche Weihnachtsgeschichten, so haben wir statt Dickens Weihnachtsgeschichte oder Timmermanns oder dergleichen Kinder- und Jugendbücher gelesen. Eines davon war Die Chroniken von Narnia, eine sieben Bücher umfassende Serie von Fantasyromanen, die zwischen 1939 und 1954 von dem irischen Schriftsteller Clive Staples Lewis geschrieben und 1950–1956 veröffentlicht wurden und sein mit Abstand bekanntestes Werk darstellen. C. S. Lewis, der einen Lehrstuhl für englische Literatur des Mittelalters und der Renaissance innehatte, war lange Zeit eng mit J. R. R. Tolkien befreundet, welcher einen Lehrstuhl für englische Sprache innehatte. Die beiden Autoren beeinflussten sich gegenseitig wesentlich. Der überzeugte Katholik Tolkien trug so auch dazu bei, dass Lewis zum Christentum konvertierte; vorher war er Atheist gewesen. Seine neu entdeckte Religiosität prägte die Narnia-Romane, die man teils als christliche Allegorie lesen kann, stark. Es war die christlichste Geschichte, die wir als Vorbereitung auf Weihnachten lesen konnten bzw. gelesen haben. Der göttliche Löwe Aslan hat Züge, die stark an Christus erinnern. Es finden sich in der Geschichte Narnias Parallelen zu zentralen Elementen der christlichen Lehre, darunter insbesondere

Origin, der neueste Thriller von Dan Brown handelt von einem Wissenschaftler, der die große Frage des Menschen, woher kommen wir, wohin gehen wir, scheinbar entschlüsselt hat. Es geht um Urknall und Erschaffung der Welt. Ein Zukunftsforscher lädt Kirchenvertreter zu einem Treffen über diese Fragen ein und behauptet, die Antwort zu kennen. Letztendlich jedoch bleibt es am Ende offen, ob nicht doch die Hand Gottes über allem wacht. Hier ein Zitat vom Ende des Buches:

Langdon hob in gespielter Abwehr die Hand. »Immer hübsch langsam!«, sagte er und lachte. »Sie bewegen sich auf gefährlichem Terrain. Lassen Sie mich eins sagen: Seit ich ein Kind war, verfolgt mich das unbestimmte Gefühl, dass ein Bewusstsein hinter dem Universum steckt. Wenn ich mir Dinge anschaue wie die Präzision der Mathematik, die Verlässlichkeit der Physik, all die atemberaubenden Symmetrien, die es im Kosmos gibt, dann glaube ich nicht, dass das alles auf eine emotionslose, gleichgültige, kalte Wissenschaft zurückzuführen ist. Ich habe immer das Gefühl, dass ich einen lebendigen Fußabdruck sehe ... den Schatten einer viel größeren Macht, die uns zum Greifen nahe, aber dennoch außerhalb unserer Reichweite ist.« Ambra konnte die Kraft seiner Worte spüren. »Ich wünschte, jeder würde so denken«, sagte sie. »Mir scheint, wir streiten viel zu viel über Gott. Jeder hat eine eigene Version der Wahrheit.«

Lassen Sie uns noch einmal einen modernen Popsong hören, Adel Tawil, Gott steh mir bei:

Ich hab' die Bibel nicht gelesen
Ich hab' die Bibel nicht gelesen
Hab' den Koran nicht dabei
Doch wenn ich all das sehe:
Gott, steh mir bei!
Hab' die Tora nicht gehört
Hatte für Buddha keine Zeit
Ich will's doch nur verstehen
Gott, steh mir bei! Gott, Gott, steh mir bei!
„In Paris sind bei mehreren Anschlägen heute Abend mindestens vierzig Menschen ums Leben gekommen -"
„Der Horror geht weiter für die Menschen in Aleppo. Tote bergen, …"
„And we will make America great again!"
„Deutschland ist ein starkes Land! Wir hab'n so vieles geschafft, wir schaffen das."
„Es wird wärmer auf unserer Erde und so schmilzt in den Polarmeeren das Eis."
„Eine Ansammlung von Plastikmüll. So groß wie ganz Europa."
„Hab'n die Menschen einfach keine Lust jetzt zum großen Mülleimer zu laufen?"
„Millionen Liter Rohöl verseuchen die Umwelt."
„… eine Katastrophe verursachen könnten, die so ernst ist, dass wir uns damit selbst vernichten."
und ich dachte eigentlich
Wir wären schon viel weiter
Und merke erst jetzt
Wie ich beinah verzweifel'

Und dann wieder Gott steh mir bei!

Tawil, geboren 1978 in Berlin als Kind eines Ägypters und einer Tunesierin, also Berliner mit nordafrikanischen Wurzeln ist meines Wissens kein religiöser Mensch. Aber Sinnsuche angesichts der großen Fragen die uns momentan beschäftigen, Gott steh mir bei, als Ausruf eines Sängers, der nicht weiter weiß, auch das ist eines dieser religiösen Themen!

Selbst wenn Religion nicht unbedingt „in“ ist, die Fragen nach dem woher und wohin, nach Leid und dem Warum, die biblischen Berichte, die Frage nach Gut und Böse, nach Schuld und Verzeihung, nach Erlösung sind Motive, die auch da auftauchen, wo wir sie nicht vermuten, auch da, wo sie nicht explizit als religiös deklariert werden. Das war nur ein kleiner Streifzug durch ein großes Gebiet, es ließen sich zahlreiche Beispiele heranziehen.

Neben den Lebens- und Glaubensfragen geht es auch darum, sich bewusst zu machen, dass wir Heldengeschichten und Storytelling auch selbst nutzen können, um biblische Geschichten und die frohe Botschaft neu und lebensnah zu erzählen. In der Firmvorbereitung mache ich mir Helden wie Harry Potter, aber auch moderne Songs zunutze, um damit eine Botschaft zu transportieren. Dafür muss ich eine aufmerksame Leserin und Hörerin sein und die versteckten Hinweise in Literatur und Musik aufspüren. Alfred Delp sagte, die Welt ist Gottes so voll. Das kann auch für Bücher und Lieder gelten. Machen wir uns auf Spurensuche! Gerade da, wo wir es nicht erwarten!

Enden möchte ich mit einem Gedicht von Hilde Domin, die von 1912 bis 2006 gelebt hat. Sie, die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts, die Deutschland während der Nazizeit verlässt, 1961 aber wieder zurückkehrt und dann in Heidelberg lebte, so dass ich sie in meiner Mannheimer Studienzeit, aber auch hier am Schönborngymnasium in Lesungen erleben durfte. Hier ein kleiner Ausblick auf die vor uns liegende Kar- und Osterzeit:

Wir haben es den Blumen und Bäumen voraus
Unsere Jahreszeiten sind schneller.
Der Tod
steigt im Stengel unseres Traums,
alle Blüten werden dunkel und fallen.
Kaum ein Herbst.
Der Winter kommt in einer Stunde.
Doch da ist keine Wartezeit,
sicheres Warten für kahle Zweige.
So wie der Vogel
innehält und sich wendet im Flug,
so jäh, so ohne Grund
dreht sich das Klima des Herzens.
Weiße Flügelsignale im Blau,
Auferstehung
all unserer toten
Blumen
im Osterwind
eines Lächelns.

Nachdem ich den Vortrag gehalten hatte, musste ich im April in der Zeitung lesen, dass ein polnischer Priester in Danzig Bücher wie Harry Potter und andere Bücher verbrannt hat. Ich dachte eigentlich, die Zeiten der Bücherverbrennung hätten wir hinter uns gelassen... Und ich denke, wir müssen uns tatsächlich darauf einlassen, eine Spurensuche von Göttlichem in allem zu suchen. Dazu sollte mein Streifzug einladen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)