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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider

Ökumenischer Frauenbibelabend St. Anton, 23. Januar 2007, Bruchsal

"Als das Evangelium laufen lernte"

Die Woche ist überschrieben "Ein neuer Weg mit Gott", ein für mich sehr braver Titel. Der Untertitel, "Als das Evangelium laufen lernte" dagegen, ist für meine Begriffe passender. Laufen zu lernen, bedeutet, unsicher Schritte zu machen, hinzufallen, wieder aufzustehen, sich blaue Flecken und Blessuren zu holen, aber trotzdem dranzubleiben. Darum ging es in der Zeit nach Jesu Tod. Die Menschen, die nach seinen Aussagen und Handlungen leben wollten, mussten sich sammeln, versammeln, Regeln finden, erste Schritte tun, manches wieder verwerfen und immer wieder neu anfangen. Ich möchte Ihnen einige Informationen zu diesem Buch der Bibel, seinem Verfasser und seiner Zeit geben. Für einige von Ihnen ist das bekannt, für andere ist es Neuland, sich mit diesen Texten zu befassen. Daher will ich versuchen, mit meinen Erläuterungen alle auf einen gewissen Stand zu bringen, der zum Textverständnis verhilft.

Wir gehen davon aus, dass die Apostelgeschichte den selben Verfasser hat wie das Lukasevangelium. Die Apostelgeschichte beginnt mit den Worten: "Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde." (Apg 1,1)

Diese Einleitung stellt die Apostelgeschichte als ein Werk vor, das ein anderes fortzusetzen gedenkt. Und dieses erste Werk muss folgerichtig das Lukas-Evangelium gewesen sein. Dort heißt es nämlich in Lk 1,3: "Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben." (Lk 1,3)

Der Name Theophilus, ist gemeinsam mit Sprache, Stil und theologischer Haltung, ein wichtiges Indiz dafür, dass das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte auf ein- und denselben Verfasser zurückgehen. Hatte dieser Verfasser aber von Anfang an ein Doppelwerk geplant? Wenn die Apostelgeschichte von Anfang an mitgeplant war, dann hat dies ja sicher auch Konsequenzen für die Gliederung des Evangeliums gehabt. Denn dann schreibe ich Dinge nicht zweimal sondern spare sie mir im Evangelium auf, um sie im anderen Dokument zu berichten. Es ist auffällig, dass Lukas Dinge auslässt, die die anderen Evangelien berichten. Ein wichtiges Beispiel ist Mk 6,45-8,26. Lukas lässt den Streit um rein und unrein im Evangelium konsequent aus, weil er ja in der Apostelgeschichte zeigen möchte, dass es zur Heidenmission erst allmählich gekommen ist.

Wie jedoch kommt es zum Namen Lukas? In zwei paulinischen Briefen wird ein Begleiter namens Lukas erwähnt. Da der Verfasser einige Male von der Ich- in die wir-Form wechselt, können wir davon ausgehen, dass er aus eigenem Erleben berichtet. Der Name Lukas wird aber durch die Tradition, dass der Verfasser des Evangeliums ein Paulusschüler gewesen sei, erst ins Spiel gebracht. Man wusste, dass das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte vom gleichen Verfasser stammen. Nun reicht die Apostelgeschichte in ihrem Bericht bis kurz vor die Hinrichtung des Paulus in Rom. Im 2. Timotheusbrief, der in der Tradition als kurz vor dem Tod des Paulus geschrieben galt, lässt der Verfasser den Paulus aber sagen: "Nur Lukas ist noch bei mir." 2 Tim 4,11

Aus dieser Stelle haben die Kirchenväter nun geschlossen: wenn der Verfasser des Doppelwerkes ein Paulusschüler ist, sein Bericht bis kurz vor den Tod des Paulus reicht und Paulus am Ende nur noch den Lukas bei sich hatte, dann kann der Verfasser der Apostelgeschichte und des Evangeliums ja auch nur dieser Lukas gewesen sein. Die Zeit der Abfassung liegt wohl nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, wir gehen von 80-90 n. Chr. aus. Dies ist insofern nicht unwichtig, wenn wir davon ausgehen, dass die Abfassungszeit nach 70 stattfand, war die Revolte der Juden ausgeschaltet (zumindest bis 136 n. Chr, zum Bar Kochbaaufstand, als sich noch mal alle Widerstände gegen Rom sammelten). Das bedeutet, Widerstand gab es kaum noch und Rom wurde endgültig als Besatzungsmacht anerkannt. Mit dieser Macht wollte man keine Probleme. Also versucht Lukas auch, die Römer in einem einigermaßen guten Licht erscheinen zu lassen, alleine wenn das Weihnachtsevangelium in die Zeit des Kaisers Augustus und seiner Pax Augusta gelegt wird, also in friedliche Zeiten. Mit dem Beginn der friedvollen Ära im römischen Reich beginnt auch der Stern des Friedensfürsten Jesus aufzugehen. Diese Parallele hat für Lukas eine nicht unerhebliche Bedeutung. Aber in dem Maße, in dem damit die römischen Machthaber in ein positives Licht gesetzt werden und ihr Anteil an der Ausbreitung des Evangeliums eher positiv geglättet wird, wird die jüdische Religion und das jüdische Volk negativer geschildert, so dass das Problem eines späteren Antisemitismus darin seine Wurzeln hat.

Es gab viele jüdische Diasporagemeinden, in denen nach Jesu Tod die Berichte von den Ereignissen um Jesus ankamen und die Ausgangspunkt für die jungen entstehenden Urgemeinden waren. Wenn Paulus nach Ephesus oder in andere Orte kommt, findet er dort jüdische Gemeinden vor. In dem Text, auf den wir uns heute konzentrieren, befinden wir uns in wohl im bedeutendsten Zentrum der Frühzeit der Kirche neben Jerusalem, in Antiochia. Die Stadt lag im antiken Syrien, heute in der Türkei und wurde 64 v. Chr. Hauptstadt der Provinz Syria. Sie war in römischer Zeit mit 500.000 Einwohnern eine der fünf bedeutendsten Städte des Reiches. Dort findet sich auch der erste Beleg für den Namen Christen. Bis zu diesem Zeitpunkt nannten sich die Menschen, die nach Jesu Vorbild lebten, die Anhänger des neuen Weges. (Apg 11,26) In Antiochia gab es wie im ganzen römisch-griechischen Mittelmeerraum viele Heiden, die sich taufen ließen und zu Christen wurden.

Dies aber führte zu Konflikten. Ausgerechnet Paulus, der ehemals gesetzestreue Pharisäer geht großzügig damit um, dass diese Menschen nicht beschnitten sind und keine jüdischen Speisevorschriften halten, während Petrus sich damit wesentlich schwerer tut. Die Stelle der Apostelgeschichte, in der vom Hauptmann Kornelius berichtet wird, der Petrus in sein Haus bittet und sicht taufen lassen will, ist sicher nachträglich eingefügt worden, um auch Petrus als einen Mann darzustellen, der später Heiden missionierte, wobei dies nicht überliefert ist. In diesem Text der Apostelgeschichte träumt Petrus von allen möglichen für ihn unreinen und unheiligen Dingen. Da gibt es Kriechtiere, Vögel und alle möglichen Vierfüßler, die für einen Juden als Mahlzeit verboten und unvorstellbar sind, aber für den römischen Hauptmann köstliche Leckereien. In Antiochia sind wohl, nachdem Paulus dort missionierte, treue Judenchristen aufgetauchten, die den Menschen klarzumachen versuchten, dass sie die jüdischen Vorschriften halten müssten. Daraufhin kam es zum Konflikt, über den wir heute hören werden.

Ein Bericht über diesen Konflikt taucht auch im Galaterbrief auf. Im Kapitel 2, 1-10 berichtet Paulus von einer Versammlung mit Säulen der Jerusalemer Gemeinde. Im Bericht des Lukas wird vom sogenannten Apostelkonzil erzählt, das so wohl nie stattgefunden hat, denn ein Konzil aller Apostel gab es wohl nicht und der Bericht darüber wurde wohl auch erst in späterer Zeit eingefügt, als schon entschieden war, dass in Jerusalem die judenchristliche Gemeinde saß und in Antiochia das Zentrum der Heidenmission war. Auch ein Petrus akzeptierte zu der Zeit schon die Heidenmission, was den Bericht über den Hauptmann Kornelius erklärt. Man wollte klarmachen, wie es zu den Entscheidungen gekommen war und fügt dies in Form eines Berichtes über ein Konzil ein. Klar, den Streit hat es gegeben. Es ging darum, die Gemeinden zu trennen, Jerusalem mit Petrus als Sitz der Judenchristen, Antiochia als Sitz der Heidenchristen und Paulus als deren Missionar. Paulus berichtet auch im Galaterbrief davon, dass Petrus die Judenchristen anvertraut wurden, ihm aber die Heidenchristen. Paulus jedoch plante wohl offensichtlich nie eine strikte Trennung zwischen Juden- und Heidenchristen. Damit aber gab es Probleme für gemischte Gemeinden. Als Lösung des Konflikts wurden laut Apostelgeschichte die sogenannten Jakobusklauseln gefunden, in denen man die Neubekehrten verpflichtete, sich von Blut, Ersticktem und Unzucht zu enthalten. Von diesen Beschlüssen des Konzils, die Antiochia auferlegt wurden, berichtet Paulus dagegen nichts.

(Marieluise Gallinat-Schneider)