< Gedenkansprachen und Reden von Marieluise Gallinat-Schneider
Navigation zeigen
Navigation verbergen

Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Gedenkansprachen und Reden von Marieluise Gallinat-Schneider

Geistliche Impulse, Konzert, St. Peter, 20. November 2005, Bruchsal

Komm, o Tod, du Schlafes Bruder

Barock (ca 1600-1720)

In der Barockzeit war der Tod allgegenwärtig. Die Menschen mussten aufgrund der Wirren des Dreißigjährigen Krieges erleben, dass ganze Städte und Dörfer ausradiert wurden. Gerade hier im Südwesten haben viele Orte und Landstriche Zweidrittel ihrer Bevölkerung verloren.

Nach Ende dieses Krieges wandte man sich dem Wiederaufbau zu und zwar in barocker Pracht. Die Fülle der Verzierungen, die prunkvollen Schlösser, die Feste - all das - sollte die Grauen des Krieges, das Sterben und Leiden vergessen machen. Aber nicht nur Kriege ließen Menschen sterben, der Tod gehörte immer dazu. Auch durch hohe Säuglingssterblichkeit, Kindbettfieber, Hungersnöte und Seuchen wie die Pest. Der massenhafte Tod war alltäglich. Deswegen gehörten auch beide Pole dazu: Leben in Fülle und Todesnähe, ja sogar Todessehnsucht. Nur wenige konnten sich die Flucht in die heitere Glanzwelt des Barock leisten. Aber auch barocke Bauten waren nicht nur Flucht. Wir stehen hier in einer Kirche, die Ausdruck des barocken Verständnisses von Tod ist. Die Peterskirche war von Anfang an als Grabeskirche geplant. Sie zeigt sich dennoch heiter, auch wenn sie bewusst nicht so farbenprächtig wie andere Barockkirchen ausgemalt ist. Die Menschen waren gottesfürchtig, sie suchten im Glauben Zuflucht und orientierten sich am leidenden Jesus. Paul Gerhardt schreibt 1656 in einer Dichtung, die Sie alle kennen, in O Haupt voll Blut und Wunden:

Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und laß mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Romantik (1789-1835)

In der Zeit der Romantik waren Literatur, Musik und Bilder Ausdruck einer Flucht vor der harten Realität . Die romantische Poesie half, dem rauen Alltag zu entfliehen und sich eine bessere Welt zu erträumen. Die Menschen erlebten eine Zeit des Umbruchs: Durch die Säkularisation wechselten viele Ländereien die Herrschaft, was zu Unsicherheit führte. Die Zeit des Vormärz, in der die Menschen für mehr Freiheit kämpften und das aufstrebende Bürgertum selbstbewusster wurde, in der die Arbeiterschaft ihren Forderungen Ausdruck verlieh und ebenso die industrielle Revolution mit ihren veränderten Arbeitsbedingungen zeigten, dass nichts bleiben würde, wie es war. Auch erlebten die Menschen trotz vieler Fortschritte das Sterben von Kindern und jungen Menschen. Durch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken kamen Arbeitsunfälle an Maschinen und Berufskrankheiten hinzu, Kinderarbeit machte krank. Die neuen Mietskasernen in den Großstädten sorgten nicht für gute Lebensqualität und Hunger herrschte dort auch immer noch. Dort waren romantische Ideen weit von den realen Lebensbedingungen entfernt. Die vielen Veränderungen machten den Menschen angst. Wer gebildet war und lesen konnte, suchte in dieser Zeit Zuflucht zur Lyrik der Romantik.

Auch dort gibt es das Thema Tod, aber romantisch verbrämt. Heinrich Heine der bedeutendste Lyriker der Romantik schreibt:

Wo wird einst des Wandermüden
etzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden?
Unter Linden an dem Rhein?
Werd ich wo in einer Wüste?
eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh’ ich an der Küste?
eines Meeres in dem Sand?
Immerhin! Mich wird umgeben
Gottes Himmel dort wie hier
und als Totenlampen schweben
nachts die Sterne über mir.

Gegenwart

Und wie ist es heute? Die Weltkriege des 20 Jahrhunderts, der Holocaust und die Attentate vieler Terroristen machen Sterben zu einem Massenszenario wie man es sich nicht schlimmer ausmalen kann. Der heutige Tag ist seit 1816 Totengedenktag. Nicht ohne Grund hat der preußische König nach den vielen Kriegen einen nationalen Totengedenktag ausgerufen. Die evangelische Kirche nahm die Anregung auf und feiert an unserem Christkönigssonntag den Totensonntag als Gegenstück zu Allerseelen. Nach dem Massensterben des 1. Weltkrieges kam der Volkstrauertag als Gedenktag für die Toten von Kriegen und Gewaltherrschaft hinzu. Wir Menschen brauchen nämlich auch Feiertage für unsere Trauer, nicht nur für unsere Freude. Wir haben zwar viele Krankheiten besiegt, an Hunger sterben in Afrika aber immer noch tagtäglich Menschen, Kriege gibt es nach wie vor und statt der Pest sind neue Seuchen wie Aids zur Geißel der Menschheit geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, jeden Tag Bilder des Schreckens in unser Wohnzimmer zu bekommen. Auch heute fliehen wir in Traumwelten, die allerdings in den Medien wie Filmen und Computern stattfinden, oder im Urlaub in vermeintlichen Paradiesen. So schließt sich der Reigen.

Aber heute wird in all dem Grauen immer wieder auch die Frage nach dem Warum laut. Als im letzten Jahr an Weihnachten der Tsunami die Ferienparadiese zerstört hatte, wurde hier in Deutschland die Frage nach Gott gestellt. Es wurde gefragt, warum lässt Gott das Leid zu? Nicht mehr der demütige Blick auf Jesu Leiden am Kreuz oder die verklärte Todesvorstellung eines sanften Ruhebettes unter Gottes Sternen bewegen die Menschen heute, sondern eher die nicht beantwortbare Frage nach dem Warum und Wieso. In den Liedern, die wir heute hören, drückt sich eine eher positive Stimmung aus, der Tod wird nicht als Katastrophe geschildert. Viele erleben ihn aber so.

Die Frage nach dem Warum angesichts des Todes ist eigentlich so alt wie die Menschheit, auch wenn sie in der Vergangenheit oft einer demütigen Glaubenshaltung wich. Der Mensch darf angesichts des Todes auch zornig vor seinen Gott treten und fragen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe.“

Das ist urbiblisch und Psalm 22 erlaubt uns, auch unserem Nicht-Verstehen Ausdruck zu verleihen. So fragt nicht nur der moderne Mensch, so fragten die Menschen der Bibel, so schrie auch Jesus in seinem Sterben.

Aber inmitten des Nationalsozialismus konnte Dietrich Bonhoeffer auch im Gefängnis dichten:

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Denn Bonhoeffer kann als Christ aus tiefem inneren Trost zu diesen Sätzen hinzufügen:

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Und was zur Jahreswende 1944 auf 1945 galt, gilt im Jahr 2005 auch, es gibt einen Trost angesichts des Todes, der für uns von der Auferstehung Christi und der Gewissheit, dass wir einen Gott in unserem Sterben haben, herrührt.

(Marieluise Gallinat-Schneider)