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Weiter-ButtonZurück-Button Opfer in Israel

Damit komme ich nun zum letzten Aspekt, den ich in diesem Zusammenhang kurz beleuchten möchte, und zwar zur Frage der Opfer. Eine Frage, die ja nicht nur theologisch hochinteressant ist, eine Frage die auch im Blick auf den modernen Menschen nicht ohne Relevanz ist. Gerade hier taucht ja immer wieder das Problem auf, was das denn für ein Gott sei, der vom Menschen Opfer fordere.

1. Abrahams Opfer

Die klassische Stelle für diese Fragestellung ist Gen 22, die sogenannte Opferung Isaaks.

a. Der Inhalt von Gen 22

Der Großteil der heutigen Erzählung stammt hierbei aus der elohistischen Tradition, dürfte also in seiner ursprünglichen Form bereits recht alt sein.

Die Geschichte erzählt, wie Abraham den Auftrag erhält, seinen Sohn als Brandopfer darzubringen. Er bricht dementsprechend frühmorgens zusammen mit zwei Knechten und einem Esel auf, um diesem Auftrag nachzukommen.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Es kommt nicht zur Schlachtung des Isaak. Kurz bevor Abraham das Opfer vollziehen will, wird er von einem Jahwe-Engel daran gehindert.

b. Die ursprüngliche Aussage der Perikope

Zum Verständnis der Opfer-Erzählung ist wichtig, dass zur Zeit der Entstehung dieser Geschichte in der Umwelt Israels Menschenopfer noch gebräuchlich waren. Die Vorstellung, die Götter durch das Opfer von Kindern oder jungen Männern besänftigen zu müssen, war also durchaus noch gegenwärtig.

Richtig verstanden will Gen 22 aber genau dieser Praxis entgegenwirken. Die Erzählung entwickelt sich auf dem Hintergrund der in der Umwelt Israels vorhandenen Überzeugung, dass Gott Menschenopfer verlangen würde. Aber sie zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass dieser Gott, an den Israel glaubt, diese Opfer genau nicht will.

"Strecke deine Hand nicht nach dem Jungen aus und tu ihm nichts zuleide." (Gen 22,12.)

Die erste Aussage der Erzählung war demnach: Gott will kein Menschenopfer.

Gen 22 ist daher religions-historisch betrachtet ein Zeugnis für den Prozess der Ablösung des Menschenopfers durch ein Tieropfer.

c. Die andere Perspektive des Elohisten

Als der Elohist diese alte Erzählung in sein Werk einbaute, war die Frage der Menschenopfer in dieser Form aber anscheinend nicht mehr aktuell. Deshalb stellte er die Geschichte durch einige geschickte Eingriffe in sein eigenes theologisches Konzept hinein und gab ihr so auch eine ganz neue Sinnspitze.

Die alte und ursprüngliche Aussage der Erzähleinheit tritt nun also zurück. Der Elohist stellt die Erzählung von Isaaks Opferung ganz in den Horizont der Begriffe יִרְאַת אֱלֺהִים ["jir>at >ælohim"] bzw. יִרְאַת יְהוָה ["jir>at jahwe"], was man im Deutschen normalerweise mit "Gottesfurcht" wiedergibt.

(1) Gottesfurcht beim Elohisten

Dabei ist Gottesfurcht für den Elohisten nicht identisch mit Angst. Gottesfurcht ist für ihn vielmehr die allein angemessene Haltung des Menschen vor Gott.

Gott zu fürchten ist beim Elohisten schon beinahe identisch mit "den rechten Weg zu gehen vor Gott". Die Gottesfurcht hält den Menschen nämlich vor schweren Verfehlungen zurück. Hierfür gibt es eine Fülle von Belegen:

  • Josef zum Beispiel bleibt gerecht und rächt sich nicht an den Brüdern, die ihn beinahe umgebracht hätten, weil er Gott fürchtet (Gen 42,18).
  • Die hebräischen Hebammen in Ägypten führen den Befehl zu Tötung der männlichen Säuglinge nicht aus, weil sie Gott fürchten (Ex 1,17a). Und deshalb werden sie von Gott dann auch mit Nachkommenschaft belohnt (Ex 1,21).
  • Keine Frage, dass auch Mose als gottesfürchtiger Mensch geschildert wird. Von ihm wird gesagt:
    "Mose verhüllte sein Angesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzublicken." (Ex 3,6b)
  • Und die rechten Führer Israels, das heißt diejenigen, die Mose bei der Rechtsprechung helfen sollen, müssen nach Ex 18 natürlich gottesfürchtige Männer sein (Ex 18,21).

(2) Die Gottesfurcht auf die Probe stellen

Diese Gottesfurcht des Menschen muss sich aber immer wieder aufs neue im Leben erweisen. Und hier denkt der Hebräer wieder ganz konkret. Er sagt, dass die יִרְאַת אֱלֺהִים ["jir>at >ælohim"] erprobt würde. נִסּה ["nissah"], "auf die Probe stellen", ist der ent­spre­chende hebräische Ausdruck.

Ganz ausdrücklich sagt dies Ex 20,20:

"Fürchtet euch nicht! Denn Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen und die Furcht vor ihm in euch wachzurufen, damit ihr nicht sündigt." (Ex 20,20.)

(3) Gen 22 als Erzählung über die Erprobung der Gottesfurcht Abrahams

Auffallenderweise steht nun genau dieser Ausdruck, genau dieses נִסּה ["nissah"] gleich am Anfang von Gen 22:

"Nach diesen Begebenheiten geschah es, da prüfte Gott Abraham und sprach zu ihm:..." (Gen 22,1.)

Wie in einer Überschrift wird also ganz am Anfang bereits gesagt, worum es im folgenden geht: Abraham soll seine Gottesfurcht unter Beweis stellen.

Der für Abraham so paradox erscheinende Befehl Gottes, ihm seinen Sohn Isaak zu opfern, den er ja gerade durch die Verheißung Gottes erst erhalten hatte, dieser Befehl erscheint im Erzählzusammenhang des Elohisten als Versuch Gottes, die Gottesfurcht Abrahams zu erproben, denn Gott will Abrahams Gottesfurcht, eine Haltung die im Trauen auf die Verheißung gehorcht (Gen 22) und im Gehorsam den Zusagen traut. ⋅1⋅

Genau darin, genau in dieser Haltung wird für den Elohisten konkret, was er Gen 15,6 mit dem Glauben Abrahams, mit dem "sich festmachen in Gott", umschrieben hat. Und genau hier knüpft dann auch das Deuteronomium an, wenn es davon spricht, dass der Mensch Gott von ganzem Herzen lieben soll.

Gott soll das Kostbarste und Teuerste im Leben des Menschen sein. Alles andere, selbst das eigene Fleisch und Blut, der Sohn der Verheißung, alles andere hat dahinter zurückzustehen.

(4) Das Evangelium von Gen 22

In seiner Gottesfurcht ist Abraham bereit, Gott das Teuerste und Kostbarste zu opfern. Gott aber hält ihn davor zurück.

Und genau hier setzt dann das Evangelium von Gen 22 ein. Der Text sagt nämlich genau dadurch auch, dass Gott das Liebste und Kostbarste des Menschen gar nicht fordert; die Bereitschaft des Menschen, es ihm zu geben, diese Bereitschaft genügt ihm bereits.

Damit beschreibt Gen 22 nicht nur die Haltung, die dem Menschen vor Gott angemessen ist. Dieser Text wird dadurch gleichzeitig zu einem Zeugnis der Liebe Gottes zum Menschen. Denn diese Liebe zu uns erweist sich eben darin, dass ihm die Bereitschaft des Menschen schon ausreicht. Gott fordert das Äußerste nicht.

2. Warum Opfer in Israel

Warum aber gibt es dann trotzdem noch Opfer in Israel? Denn der Gott, der keine Menschenopfer fordert, der auch das Liebste dem Menschen nicht abverlangt, dieser Gott braucht doch dann auch keine Tieropfer. Weshalb gibt es diese Opfer dann dennoch weiterhin?

a. Gott braucht die Opfer nicht

Hier müssen wir ganz einfach von einem langen Prozess ausgehen, den Israel erst durchmachen musste.

Israel wusste wohl bereits sehr früh darum, dass Gott die Opfer des Menschen nicht braucht, dass er nicht, wie die Götter in der Umwelt von diesen Opfern lebt, ja, dass der Mensch mit all seinem Tun, die Fülle Gottes niemals vermehren könnte.

Wenn Israel trotzdem an der alten, von Urzeit an geübten Praxis festhält, dann ist dies zunächst einmal nichts anderes als ein Festhalten an einer Tradition. Wichtig ist, dass diese Tradition sich änderte, dass die Praxis im Laufe der Zeit eine andere wurde.

Um dies besser einordnen zu können, müssen wir die beiden großen Opferarten in Israel noch etwas genauer betrachten:

b. Das Ganzopfer ⋅2⋅

Die erste wichtige Art des Opfers war die עוֺלָה ["<olah"], das sogenannte Ganzopfer oder Holocaustum. Dies ist eine Opferart, die in Israel wahrscheinlich auf die Nomadenzeit zurückging. Sie wird im Alten Testament am häufigsten genannt, insgesamt 280mal. Das Opfertier wurde dabei zur Gänze verbrannt (Lev 1), das heißt es war ausschließliche Gabe an Gott. Der aufsteigende Rauch war dabei ein Zeichen, dass die Gabe nun zu Gott aufstieg.

Das Holocaustum dürfte primär ein Akt der Huldigung an Gott dargestellt haben (Gen 22; Ri 6,26; 1 Kön 18,36-37), zu dem das Motiv des Dankes oder der Bitte kommen konnte. Erst im Priesterkodex erhielt das Holocaustum dann den Charakter des Sühn-Opfers.

Diese Art des Opfers wurde bereits im Zusammenhang mit der deuteronomischen Kultzentralisation im 7. Jahrhundert v. Chr. auf den Tempel eingeschränkt. Nur noch im Tempel von Jerusalem konnten solche Opfer dargebracht werden. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. kam diese Opferpraxis im Judentum daher auch endgültig zum Erliegen.

c. Das Schlachtopfer ⋅3⋅

Eine zweite Art des Opfers war das sogenannte שְׁלָמִים ["schelamim"], ein Gemeinschafts-Schlachtopfer, bei dem nur ein Teil des Tieres auf dem Altar verbrannt wurde. Diese Opferart, die oft einfach auch nur זֶבַח ["sæbach"] genannt wird, geht vermutlich auch schon auf die Nomadenzeit zurück.

Gott als dem Herrn des Lebens waren dabei die vitalsten Teile reserviert, die Lendenfettstücke, besonders jene, die Leber und Nieren berührten, und das Blut. Die Fleischstücke wurden dabei verbrannt, das Blut auf dem Altar vergossen.

Der Rest des Opfers wurde aber verzehrt. Ein Teil war den Priestern vorbehalten, das übrige wurde von den Opfernden gegessen.

So erhielt das Schlachtopfer den Charakter eines gemeinsamen Mahles, und letztlich also eines Mahles von Gott und Mensch. Es hatte dabei einen freudigen Charakter und war Teil aller Feste in Israel.

Auch das Mahlopfer wurde dann durch die Kultzentralisation unter Joschia auf den Tempel in Jerusalem beschränkt.

Das Pascha-Mahl, wie es in Ägypten gefeiert wurde, wird übrigens genau als solch ein Schlachtopfer geschildert. Und auch der Bundesschluss auf dem Sinai beinhaltet nach dem Bericht des Buches Exodus, wie er nun nach der Endredaktion vorliegt, ein Schlachtopfer mit Bundesmahl.

d. Vom Tieropfer zum Lobopfer

Bereits an den beiden zuletzt genannten Beispielen wird aber schon deutlich, dass das Schlachtopfer - obwohl das Ganzopfer weit häufiger erwähnt wird - das theologisch bedeutsamere geworden ist. Das Schlachtopfer war weit besser geeignet den Charakter des Bundesverhältnisses zwischen Israel und seinem Gott zum Ausdruck zu bringen als das Ganzopfer.

Und hier spielt das gemeinschaftliche Mahl eine eminente Rolle.

Dadurch wird aber auch schon deutlich, dass die Akzente, was das Opfern anging, sich immer mehr verschoben haben. Während beim Ganzopfer der Akzent ja noch vor allem beim Dienst gegenüber Gott ruht, kommt beim Schlachtopfer mit seinem gemeinsamen Mahl das Gemeinschaftliche und damit letztlich auch der Dienst Gottes am Menschen immer stärker in den Blick.

Von daher war Israel letztlich davor gefeit unserem einseitigen Opferverständnis aufzusitzen. Dass Opfern etwas sein soll, was allein auf Gott abzielt, das ist eine abendländische Verengung.

Der Hebräer weiß von früh her, dass er Gott durch all seine Opfer nicht vermehren kann. Opfern heißt für ihn daher immer mehr: Gott schenken und dabei von Gott beschenkt werden. Und dementsprechend wird Opfern im Verständnis des Alten Testamentes auch immer mehr zum Synonym für Gottesdienst überhaupt. Opfer und Gottesdienst sind für den Hebräer im Grunde austauschbare Begriffe. Beides ist Dienst Gottes am Menschen und Dienst des Menschen für Gott.

So kann das Gebet, die Schriftlesung, das Loben und Danken Gottes auch immer stärker an die Stelle des Opfers treten.

Gebet, Lob und Dank treten demnach gleichsam die Nachfolge des Opfers an. So kann Psalm 50 Gott letztlich sprechen lassen:

"Höre, mein Volk, ich rede. Israel ich klage dich an, ich, der ich dein Gott bin. Nicht wegen deiner Opfer rüge ich dich, deine Brandopfer sind mir immer vor Augen. Doch nehme ich von dir Stiere nicht an noch Böcke aus deinen Hürden. Denn mir gehört alles Getier des Waldes, das Wild auf den Bergen zu Tausenden. Ich kenne alle Vögel des Himmels, was sich regt auf dem Feld ist mein eigen. Hätte ich Hunger, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist die Welt und was sie erfüllt. Soll ich denn das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? Bring Gott als Opfer dein Lob, und erfülle dem Höchsten deine Gelübde! Rufe mich am Tag der Not; dann rette ich dich, und du wirst mich ehren." (Ps 50,7-15⋅4⋅

Das Lob Gottes soll an die Stelle des Opfers treten. Der Gottesdienst in Wort und Erfüllung der Gelübde ist das Opfer, das Gott wohlgefällig ist. Dabei hat der Hebräer keinerlei Schwierigkeiten Gebet und Werke der Liebe als Opfer zu bezeichnen. All dies ist schließlich Gottesdienst, Dienst an Gott, zugleich auch Gottes Dienst an uns Menschen. Unsere Diskussionen, etwa im Blick auf das Abendmahl, würde der Hebräer für äußerst akademisch halten.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der Mensch des Alten Testamentes dabei oftmals weit mehr als der des Neuen darum weiß, dass Dienst für Gott vorab Dienst am Mitmenschen bedeutet. Gottesdienst, der kein Menschendienst ist, ist kein Gottesdienst.

Am eindrucksvollsten bringt dies der Prophet Amos zum Ausdruck, wenn er sagt:

"Ich hasse und verwerfe eure Feste und habe kein Wohlgefallen an euren Festversammlungen. Denn bringt ihr mir Brandopfer dar ... an euren Speiseopfern habe ich kein Gefallen, und das Opfer eurer Mastkälber sehe ich nicht an. Hinweg von mir mit dem Lärm eurer Lieder! Das Spiel eurer Harfen will ich nicht hören. Wie Wasser flute das Recht, und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach!" (Am 5,21-24.)

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Das Motiv der Versuchung durch Gott in vordeuteronomischer Tradition, in: Vetus Testamentum (22/1972) 55-63. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Walter Kornfeld, Art.: Opfer, in: LThK (1962) VII/1170. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Walter Kornfeld, Art.: Opfer, in: LThK (1962) VII/1170. Zur Anmerkung Button

4 Zitiert nach der Einheitsübersetzung (1980). Zur Anmerkung Button