Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Generelle Denk- und Ausdrucksweisen der Hebräer ⋅1⋅

Was ist das nun für eine Sprache, das Hebräische, welche Ausdrucksweisen und was für eine Gedankenwelt steht hinter ihr?

1. Der Mensch als "animal loquens"

>Kamel und Esel

Kamel und Esel.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Ein wichtiger Hinweis auf das Denken des He­bräers liefert uns ein Blick auf das Wort für Tier.

Im Hebräischen heißt dieses Wort בְּהֵמָה ["behemah"] = "das Stum­me".

Natürlich weiß auch der Hebräer, dass Tiere Laute von sich geben und dass sie sich untereinander verständigen. Aber die Art und Weise wie Menschen miteinander kommunizieren ist noch einmal etwas ganz besonderes. Im Unterschied zum Menschen erscheint ihm das Tier stumm zu sein.

Schon in der Genesis wird dies deutlich, wenn der Adam, der Mensch, unter den Tieren keines findet, das ihm entspricht.

Wenn das Tier im Unterschied zum Menschen aber בְּהֵמָה ["behemah"] ist, dann ist es also die Sprache, die für den Hebräer den Menschen zum Menschen macht.

Das ist schon einmal ein wichtiger Unterschied zum abendländischen Denken. Wir sprechen vom Menschen ja als "animal rationale", als vernunftbegabtes Lebewesen.

Das ist eigentlich eine sehr abstrakte Art des Denkens. Vernunft, das ist etwas, was man sich nur sehr schwer vorstellen kann, was nicht zu greifen ist. Der Hebräer legt da eine viel konkretere Art zu Denken an den Tag.

So ist es eben nicht die Vernunft des Menschen, die ihn vom Tier unterscheidet - für diesen Ausdruck gibt es im Hebräischen nicht einmal ein Wort - es ist ganz einfach die Sprache. Der Hebräer greift nach dem Punkt, an dem die menschliche Vernunft konkret wird.

So müssen wir für die Vorstellung des Hebräers den Menschen also weniger als "animal rationale" denn als "animal loquens", als "das sprechende Wesen" bezeichnen.

Die Wortwelt, das ist für den Hebräer die nächste Welt des Menschen.

2. Eigenarten der hebräischen Sprache

Wenn wir dies einmal als Grundgegebenheit voraussetzen, dann muss allerdings auffallen, dass das Hebräische andererseits eine verhältnismäßig wortarme Sprache ist. Sie umfasst etwa 6000 Worte.

Und dazu kommt noch - etwas was demjenigen, der die Sprache erlernen soll, eigentlich sehr entgegenkommt -, dass das Hebräische von der Syntax her durch kurze Hauptsätze geprägt ist.

Das lässt gleich vermuten, dass es gar nicht einfach ist, im Hebräischen eine Erzählung spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Mit der beschränkten Anzahl an Worten und der eigentlich recht einfachen Syntax lässt sich von der Sprache her nicht sehr viel machen. Kein Wunder, dass in einer solchen Sprachumgebung andere Stilmittel eine ganz besondere Bedeutung gewinnen.

Um das Hebräische genauer einordnen zu können, muss man sich vor Augen halten, dass das Hebräische zur semitischen Sprachfamilie gehört.

In diesen Sprachen bilden meist drei Konsonanten die Grundidee eines Wortes. Diese drei Buchstaben bleiben als Wortwurzel durch alle sprachlichen Abwandlungen erkennbar. Dies macht die Sprache bestens geeignet für Wortspiele und Wortassoziationen. Die Vorliebe des Hebräers für etymologische Spiele ist von daher verständlich.

Die durch drei Konsonanten gebildete Grundidee eines Wortes ist eine Eigenart der hebräischen Sprache, die im Grunde genommen gemeinsames Merkmal aller semitischen Sprachen ist. Wenn man schon solche Kategorien verwenden möchte, dann müsste man die Semiten von daher eher als Sprachgemeinschaft denn als eigene Rasse bezeichnen. ⋅2⋅

Schauen wir uns diese sprachliche Eigenart einmal an einem Beispiel an und zwar am Beispiel ⋅3⋅ der Wortwurzel מלך ["m l k"]:

  • malaku - beraten (akkadisch)
  • malk - König (akkadisch)
  • malak - herrschen
  • melek - König
  • malka - Königin
  • malakut - Königsherrschaft

Hieraus wird bereits erkennbar, dass das Hebräische eine Verbalsprache. Die durch die drei Konsonanten gebildete Grundidee eines Wortes bezeichnet zunächst das Verbum, von dem dann alle anderen Bedeutungen abgeleitet sind.

Das Verbum wird nicht nach einem Zeitschema konjugiert, sondern nach dem Zustand der Abgeschlossenheit (Perfekt) oder der Unabgeschlossenheit (Imperfekt) eines Vorgangs.

3. Abstrakta in der hebräischen Sprache

Auffallend ist - wie bereits oben angedeutet - die kleine Anzahl von Abstrakta in der hebräischen Sprache. Das Hebräische ist eine Sprache, die kaum abstrakte Ausdrücke kennt.

Man kann dies eigentlich schon als Wesenszug des hebräischen Denkens bezeichnen. Man denkt im Hebräischen eben nicht abstrakt, sondern konkret.

Innere Vorgänge, Dinge, die wir mit abstrakten Begriffen benennen, umschreibt der Hebräer dementsprechend. Und er tut dies ganz einfach in Analogie zu dem, was er im äußeren Bereich entdecken kann.

Die hebräische Sprache kennt so zum Beispiel kein eigenes Wort für "denken", und noch viel weniger für "meditieren". Diese Dinge sind für ihn ganz einfach ein inneres Tun, das er in Analogie zum äußeren Tun umschreibt.

  • anstelle von "denken" sagt er "sprechen im Herzen"
  • anstelle von "meditieren" heißt es im Hebräischen "murmeln im Herzen".

Und selbst dann, wenn nach unserem Empfinden dann einmal ein abstraktes Wort vorliegt, hat es für den Hebräer meist einen ganz konkreten Hintergrund.

So heißt es im Zusammenhang mit der biblischen Urgeschichte häufiger, dass der Mensch etwas "erkennt". Erkenntnis, das ist für unsere Ohren ein Abstraktum. Dass dies für den Hebräer zunächst auch eine ganz konkrete Sache ist, also etwa das Feststellen, dass ich mit einer Sache etwas anstellen kann und dies dann aber auch zu tun, das wird deutlich, wenn der Adam seine Frau erkennt. Dabei kommt nämlich dann ein Kind dabei heraus.

Das hebräische Wort  רַחמִים ["rachamim"] - um ein weiteres Beispiel anzuführen - wird zwar im Deutschen mit "Erbarmen" übersetzt, dieses Wort hat aber keineswegs den gleichen abstrakten Horizont wie in unserer Sprache.

Das wird schon dadurch deutlich, dass רַחמִים ["rachamim"] nichts anderes ist, als der Plural von רֶחֶם ["ræchæm"]. רֶחֶם ["ræchæm"] wiederum heißt aber zu deutsch "der Mutterleib". Den Plural von "Mutterleib" verwendet der Hebräer um zu umschreiben, was er unter "Erbarmen" versteht. Erbarmen haben, das ist demnach für ihn nichts anderes als sich wie eine Mutter zu ihrem Kind zu verhalten, also mütterlich sein.

Wenn der Hebräer demnach von Jahwe sagt, dass Gott sich der Menschen erbarmt, dann ist das für ihn keine abstrakte Geisteshaltung Gottes. Schon im Wort schwingt für ihn da mit, dass Jahwe dann wie eine Mutter zu ihrem Kind ist, dass Gott ein mütterlicher Gott ist; ein Zug übrigens, der im Gottesbild Israels nichts außergewöhnliches darstellt. Wir werden, wenn wir das Gottesbild Israels untersuchen, feststellen, dass es für Jahwe genauso viele mütterliche wie väterliche Prädikate gibt. ⋅4⋅

4. Sein und Werden

Auf der gleichen Ebene liegt es, wenn der Hebräer sich schwer tut mit der Vorstellung, dass etwas einen Zustand erreicht haben soll. Er tut sich unheimlich schwer damit, einen Zustand zu beschreiben oder gar danach zu fragen, was nun etwa das Wesen einer Sache sei.

Der Hebräer sieht im Zustand (dem gewirkten) vor allem das Ergebnis einer Tätigkeit (eines Wirken). Und dementsprechend umschreibt er das Sein einer Sache schlicht und ergreifend mit ihrem Werden.

So nimmt es nicht wunder, dass es für unser Wort "sein" und das deutsche Wort "werden", im Hebräischen lediglich ein einziges Wort gibt, nämlich היה ["hajah"].

"Sein" ist für den Hebräer das gleiche wie "werden".

Aus dem Ineinsgehen von Sein und Werden in der Vorstellung des Hebräers folgt das Ausdrucksmittel der Werdegeschichte, die das Wesen einer Sache beschreiben soll. Wenn ich sagen will, was für ein Wesen eine Sache letztendlich hat, dann beschreibe ich im Hebräischen ganz einfach, wie diese Sache geworden ist.

  • Das Wort für König werden, ist dementsprechend im Hebräischen das gleiche, wie das Wort für König sein.
  • Die Schöpfungserzählung ist nicht als historischer Bericht zu verstehen, sondern als Werdegeschichte des Menschen aus der Erde. Sie sagt also etwas über das Wesen des Menschen aus, d. h. der Mensch, der aus der Erde geworden ist, ist bestimmt für die Erde.
  • Auch beim Tempel wird nicht etwa abstrakt beschrieben, wie er aussieht und welchen Umfang er hat, die Königsbücher geben ganz einfach einen Bericht seiner Baugeschichte. Anstelle der Beschreibung eine Schilderung des Werdens.

Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeiten, abstrakte Begriffe auszudrücken, oder positiv gesagt für die Konkretheit der hebräischen Sprache ist 1 Kön 21,21. Dort heißt es:

"Ahab sagte zu Elija: Hast du mich gefunden, mein Feind? Er erwiderte: Ich habe dich gefunden. Weil du dich hergabst, das zu tun, was dem Herrn missfällt, werde ich Unheil über dich bringen. Ich werde dein Geschlecht hinwegfegen und von Ahabs Geschlecht alles, was männlich ist, bis zum letzten Mann in Israel ausrotten." (1 Kön 21,20-21.)

Ich habe diesen Abschnitt jetzt nach der Einheitsübersetzung zitiert, um deutlich zu machen, wie geschönt diese Übersetzung, die ja für den liturgischen Gebrauch, den Gebrauch im Gottesdienst, geschaffen wurde, manchmal ist. Das ist zwar richtig übersetzt, aber es gibt in keiner Weise mehr die Konkretheit der hebräischen Ausdrucksweise wieder. Der Hebräer sagt hier nicht "alles, was männlich ist". Das ist ihm viel zu abstrakt. Das ist viel zu unkonkret. Das Hebräische ist eine ungeheuer konkrete, bisweilen sogar äußerst derbe Sprache. Im Hebräischen Original steht für den Ausdruck "alles, was männlich ist", ganz einfach:

"alles, was an die Wand pisst" (1 Kön 21,21⋅5⋅

5. Das Kreisdenken

Der Grieche denkt abstrakt, linear, in logischen Entwicklungszusammenhängen. Der Hebräer liebt es, einen Gegenstand mit den Gedanken zu umkreisen und ihm dabei immer wieder neue Aspekte abzugewinnen (Kreisdenken). Vgl. hierzu die Reden Jesu bei Johannes oder den 1. Johannesbrief.

Das verleiht in unseren Ohren einem Text vielleicht den Charakter der Ungeordnetheit und des Durcheinanders. Man hat das Gefühl, dass immer wieder das gleiche gesagt wird.

Dem Originaltext gerecht werden kann man hier nur, wenn man tatsächlich in diese Ausdrucksweise des Hebräers eintaucht und dieses Sprachgefühl nachzuvollziehen versucht.

6. Weitere Ausdrucksweisen des Hebräers

Ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, dass die hebräische Sprache eine wortarme Sprache ist und auch eine recht einfache Syntax aufweist.

So war der Hebräer darauf angewiesen, andere Formen der künstlerischen Gestaltung der Sprache zu entwickeln. Dementsprechend finden sich sehr häufig farbige und plastische Ausdrücke.

Beispiele hierfür sind etwa:

  • Die Metapher (kurzer Vergleich); Gott ist Fels, Schild, Horn, Eckstein.
  • Die Metonymie (Vertauschung zusammengehöriger Begriffe); Wimpern für Blick, meine Feinde gabst du mir als Rücken (Psalm 48), Mund für Wort, Staub für Mensch, Kelch für Wein.
  • Die Synekdoche (pars pro toto); Fleisch für Mensch, Arm für Kraft, Riegel für Tür, Tor für Stadt. Vgl. "und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen".
  • Gleichnisse; sie treten auf in Form von Parabeln oder Allegorien, ⋅6⋅ vor allem in den Weisheitsbüchern und bei den Propheten. Beispiele für die Parabel finden sich in 2 Sam 12,1-4; Jes 5,1-7; Ez 24,1-2.
  • Proverbien (Sprichwörter): Ez 18,2-3; Jes 10,15.
  • Hervorhebende (emphatische) und übertreibende (hyperbolische) Ausdrucksweise; z. B. hassen für weniger lieben, keiner blieb übrig
    In Ps 114 heißt es beispielsweise:
    "Als Israel zog aus Ägypten, Jakobs Stamm aus dem fremden Volk: Da wurde Juda sein Heiligtum, Israel sein Reich. Das Meer sah es und floh, der Jordan wandte rückwärts den Lauf. Die Berge hüpften den Widdern gleich, wie junge Lämmer die Hügel." (Ps 114,1-4)

Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit solchen Ausdrucksformen spielen die Zahlenangaben.

Zahlen sind im Hebräischen ein wichtiges Ausdrucksmittel. Zahlenspiele sind sehr beliebt in hebräischen Texten.

Zahlenangaben im AT sollen aber auch häufig zum Ausdruck bringen, dass Jahwe in seinem geschichtlichen Walten ein Gott der Ordnung ist. Die Zahlenangaben sind daher nicht nur quantitativ, sondern häufig vor allem qualitativ zu deuten und sehr oft auch symbolisch.

Mit dieser Zahlensymbolik müssen wir uns noch ein wenig eingehender beschäftigen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 24-26. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 128. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 128. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg / Basel / Wien 1972) 107. Zur Anmerkung Button

5 Vgl. zu diesem Ausdruck auch: Eugen Drewermann, das Markusevangelium, (Olten 5. Auflage 1987) I/407. Zur Anmerkung Button

6 Bei einer Parabel werden die Hauptzüge verglichen, während bei der Allegorie Details Gegenstand des Vergleichs sind. Zur Anmerkung Button